Die schwarze Kathedrale
daß er durch die Luft flog, bis er auf einem weichen Blätterkissen landete und feststellte, daß er sich wieder im Wald befand. Im Mondlicht sah er, daß er seine Rüstung trug, sein Schwert und seinen Dolch gegürtet hatte und daß sein Schild neben ihm lag. Als er sich umblickte, fand er seinen Falken und seinen Hund an seiner Seite, und sein Pferd stand nur wenige Schritte von ihm entfernt, warf den Kopf hoch und schnaubte ängstlich. Und dann bemerkte der junge Prinz den Geruch, der sein Reittier so erschreckte, und er erkannte, daß er sich wieder auf der großen Lichtung befand, die mit Teilen von menschlichen Körpern übersät war. Und als er im schwachen Mondlicht zum fernen Saum der Bäume hinübersah, gewahrte er, daß etwas aus dem Wald hervorkam und sich ihm langsam näherte.
Nachwort des Herausgebers
Ich wurde in Hyderabad geboren, wo mein Vater Offizier der indischen Armee war. Als ich gerade zwölf Jahre alt geworden war, entschieden meine Eltern, mich nach England in ein Internat zu schicken, nicht nur, weil das Klima dort gesünder und, wie sie annahmen, die Erziehung besser war, sondern auch wegen einiger häuslicher Schwierigkeiten. Eine der Folgen dieser Probleme war, daß sie nicht sehr wohlhabend waren, und weil ich ein gewisses musikalisches Talent an den Tag gelegt hatte – nicht allzuviel, wie sich später herausstellen sollte – und wegen des finanziellen Vorteils – Unterricht und Unterbringung waren kostenlos –, beschloß man, daß ich Chorknabe werden sollte.
Gewöhnlich traten die Jungen im Alter von sieben oder acht Jahren in die Chorschule ein, und bis sie zwölf Jahre alt waren, hatten sich Gruppen und Freundschaften gebildet, von denen ich als Neuankömmling naturgemäß ausgeschlossen war. Mit meinen indischen Lebensgewohnheiten und meiner frühreifen Introvertiertheit, die durch die häuslichen Probleme noch verstärkt worden war, machte ich vermutlich den Eindruck eines seltsamen kleinen Jungen. Ich war das einzige Kind meiner Eltern, jedenfalls, nachdem meine jüngere Schwester mit drei Jahren an Gelbfieber gestorben war, als ich gerade acht war. Ich hatte sie innig geliebt, und ihr Verlust, zusammen mit den anderen familiären Schwierigkeiten, hatten bei meiner melancholischen Veranlagung dazu geführt, daß ich eine altkluge Feierlichkeit an den Tag legte, der zufolge es mir schwerfiel, Anteil an den kindischen Interessen meiner Mitschüler zu nehmen.
Ich traf mitten im dritten Trimester im Internat ein und stellte fest, daß sich für die Schüler alles um Kricket drehte, besaß jedoch weder Eignung noch Neigung zu dem Spiel. Ich wurde von allen gemieden, war unglücklich und schüchtern, und vermutlich war das auch der Grund, warum ich fürchterlich zu stottern begann. (Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, schon vorher gestottert zu haben, und wenn ich es in Indien, wo ich mit meiner Ayah völlig unbefangen Hindustani geredet hatte, bereits getan haben sollte, hatte nie jemand eine Bemerkung darüber verloren.) Weil mein Stottern der Verachtung der anderen Jungen zusätzliche Nahrung gab, flüchtete ich mich zunehmend in Schweigen und verbrachte soviel Zeit wie möglich für mich allein. Wenn es gerade keine Fliegen gab, die man quälen, oder Katzen, die man jagen konnte, wurde es zu einem beliebten Sport, mich aufzustöbern und in Zorn zu bringen, wobei mein Stottern meine Verteidigungsversuche um so amüsanter machte.
Von den anderen Jungen abgelehnt, war ich auch Anlaß für das Mißfallen des Schulleiters, obwohl ich niemals absichtlich ungehorsam war oder gegen die Schulordnung verstieß. Dennoch geriet ich häufiger als jeder andere Junge in Schwierigkeiten, was vermutlich daran lag, daß ich in einer Art Tagtraum dahinlebte und gewöhnlich gar nicht merkte, wenn ich zu spät kam oder etwas vergaß. Die Welt, die ich mir erträumte, war viel schöner und interessanter als die Wirklichkeit, und ich kann mir vorstellen, daß es den Schulleiter erboste zu sehen, daß ich mich ganz im Reich meiner Phantasie verlor.
Der Schulleiter, wie er übertriebenermaßen genannt wurde, denn außer ihm gab es nur noch zwei hauptamtliche Lehrer und den Hilfsorganisten, der uns in Musik unterrichtete, verfiel oft in plötzliche Wutanfälle, während deren er uns immer wieder heftig schlug. Gewöhnlich drosch er uns nicht mit einem Rohrstock auf die Hand oder das Gesäß, sondern einfach mit der flachen Hand auf den Kopf. Die Strafe für schwerere Vergehen bestand
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