Die schwarze Kathedrale
alle Zukunft und stattete die Abtei mit weiteren Schenkungen zu Ehren seines Freundes und Lehrers aus, der das Martyrium hatte erleiden müssen. Und von dieser Zeit an geschahen immer wieder Wunder im Zusammenhang mit dem heiligen Wulflac und besonders mit dem Brunnen, in den man seine Leiche geworfen hatte. Es stellte sich heraus, daß schreckliche Wunden durch das Wasser des Brunnens geheilt werden konnten, und Bäume, die mit dem Wasser des Brunnens gegossen wurden, mitten im Winter Früchte trugen …
Es folgt jetzt noch viel von der Art, was aber weder überwältigend interessant noch besonders überzeugend ist, deshalb höre ich hier auf.«
Ich war von der Geschichte sehr berührt – wie ich es immer bin, wenn ich an das Leben dieses außerordentlichen Mannes denke, dieses gelehrten Königs, der die Nation vor dem Untergang bewahrte. »Kannst du dir denken, wie meine Hypothese bezüglich des jungen Kaplans lautet?« fragte ich.
Austin schüttelte den Kopf. »Ist dir aufgefallen, daß er der einzige Mensch ist, von dessen persönlichen Gedanken und Gefühlen wir etwas erfahren? In der Szene, in der Alfred betet, schreibt Grimbald, daß er ›tief bewegt war von diesem Zeichen des Vertrauens und entsetzt über das, was er für Beorghtnoth’ Verrat hielt‹. Ich vermute, daß der junge Kaplan kein anderer war als Grimbald selbst.«
Austin schürzte die Lippen. »Das würde erklären, warum er so weise Ratschläge erteilen durfte.«
Ich lachte. »Das klingt sehr zynisch. Aber du hast recht, und außerdem bestätigt es meine Theorie, die ich erst kürzlich in einem Artikel für die ›Proceedings of the English Historical Society‹ veröffentlicht habe.«
»Wie authentisch ist denn diese Geschichte?« wollte Austin wissen. »Für mich klingt sie nicht glaubwürdiger als die berühmten Kuchen.«
»Da gibt es durchaus einige Schwierigkeiten«, räumte ich ein.
»Wie steht es damit, daß Wulflac eine Sonnenfinsternis vorhergesagt haben soll?«
»Ja, das wirft einige schwerwiegende Fragen auf. Das astronomische Wissen, das so etwas ermöglicht hätte, war schon mehrere Jahrhunderte früher verlorengegangen, genau gesagt, beim Zusammenbruch der Zivilisation von Alexandria. Aber die Schriften von Ptolemäus und Plinius waren zu jener Zeit in England bekannt. Und so ist es durchaus denkbar, daß Wulflac und Alfred verstanden, daß es sich um eine Sonnenfinsternis handelte – sofern eine stattfand.«
»Hat es denn zu dieser Zeit eine Sonnenfinsternis gegeben? Läßt sich das nachweisen?«
»Es ist nicht bekannt, daß sich gerade zu dieser Zeit eine ereignet hat. Das ist einer der Gründe, weshalb viele Historiker die Authentizität von Grimbalds ›Leben‹ nicht akzeptieren.«
»Glauben sie, daß es sich um eine Fälschung handelt? Von wem und warum?«
»Nun, es hat nur in einem einzigen Manuskript mit einem Vorwort von Leofranc überlebt, der beschreibt, daß er befohlen habe, es zu kopieren und zu verteilen, damit jedermann erfahre, wie weise und gebildet König Alfred war.«
»Enthält das Manuskript selbst irgendwelche Hinweise?«
»Unglücklicherweise fiel es 1643 der Zerstörung anheim, als die Bibliothek hier geplündert wurde. Alles, was wir haben, ist eine sehr unzureichende Ausgabe von Leofrancs Version, die 1574 das Antiquariat Parker veröffentlichte.«
»Aber warum hätte jemand sich die Mühe machen sollen, es zu fälschen?«
»Ich glaube nicht, daß jemand das getan hat, obwohl ich zugeben muß, daß Grimbalds Originaltext von Leofranc verändert und erweitert worden ist. Er hat mit Sicherheit die Passage am Ende hinzugefügt, in der das Auffinden einer alten Urkunde beschrieben wird, die dann die Abtei bereicherte, und vermutlich auch die Aufzählung der Wunder, um dadurch die Abtei zu einem Wallfahrtsort zu machen.«
»In diesem Fall könnte er womöglich das ganze Ding gefälscht haben.«
»Das hat ein Mann namens Scuttard, der ein Schurke und eine Schande für den ganzen Gelehrtenstand ist, vor drei Monaten behauptet, als er einen Artikel in der gleichen Zeitschrift wie ich veröffentlichte, in dem er den meinen in schärfster Form angreift. Er behauptet, daß Leofranc das Ganze gefälscht habe, indem er andere Texte abgeschrieben und dann zusammengestückelt habe.«
»Du sprichst über diesen Leofranc, als ob er gleich nebenan wohnen würde. Wer in aller Welt war er denn eigentlich?«
»Weißt du das wirklich nicht? Er war der Bischof, der den Kult um den Märtyrer Wulflac hier
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