Die schwarze Kathedrale
in Thurchester begründet hat. Scuttard behauptet, er habe das in der Absicht getan, das nötige Geld aufzutreiben, um das angelsächsische Münster abzureißen und die Kathedrale zu bauen …«
»Mir ist aufgefallen, daß Grimbald vom ›alten Münster‹ spricht, was den Gedanken nahelegt, daß der Bericht zu einem Zeitpunkt verfaßt wurde, nachdem es bereits durch die Kathedrale ersetzt worden war. Und das war doch nicht vor zwölfhundert irgendwas, oder?«
»Es war zu Beginn des zwölften Jahrhunderts, Austin.«
»Tut mir leid. Manchmal bringe ich die Elfer und Zwölfer und Dreizehner ein bißchen durcheinander. Das Mittelalter besteht für mich nur aus Mönchen und Schlachten, bis Heinrich VIII. mit seinen vielen Frauen kommt.«
Ich schüttelte mich und fuhr fort: »Das Manuskript, das von Parker veröffentlicht wurde, wurde etwa 1120 kopiert, und das paßt ja zu Leofrancs Daten. Aber du hast recht, es ist einer der Beweise, von denen Scuttard spricht. Und er bringt vor, daß die ganze Unternehmung, die Leofranc durchgeführt hat – nämlich Wulflacs Brunnen und sein Grab zu einem Schrein zu erheben, der während des gesamten Mittelalters zu einem wichtigen Wallfahrtsort wurde –, auf dieser Fälschung beruhte.«
»Dann behauptet Scuttard also, daß Wulflac gar nicht den Märtyrertod erlitten hat?«
Ich nickte. »Er geht sogar noch weiter: Er behauptet tatsächlich, daß er überhaupt nie gelebt habe. Und es stimmt, daß es außer in Grimbalds Werk keinen Hinweis auf seine Existenz gibt. Aber eines meiner Gegenargumente auf Scuttards Artikel in meiner Antwort im letzten Monat ist die Frage, warum Leofranc dann nicht das Leben Wulflacs gefälscht hat, sondern das Leben Alfreds.«
»Ich glaube, daß er sogar sehr viel gerissener war. Dadurch, daß er über das Leben Alfreds geschrieben hat, in dem der heilige Wulflac eine entscheidende Rolle spielt, schmuggelt er nämlich den Märtyrer sehr viel effektiver in die Geschichte.«
»Genau das hat Scuttard auch geantwortet«, gab ich betrübt zu. »Und wenn das akzeptiert wird, gewinnen auch seine anderen ungeheuerlichen Behauptungen eine gewisse Plausibilität. Vor allem sein absurder und schrecklicher Gedanke, daß Alfred die Dänen gar nicht besiegt habe, sondern in Wirklichkeit von ihnen besiegt worden sei, ihnen Tribut gezahlt habe und ihr Vasall geworden sei.«
Austin sah mir gleichgültig ins Gesicht. »Ist das denn so wichtig?«
»Es gefällt mir nicht, wenn ein Wissenschaftler mit Hilfe eines Schwindels seine Karriere vorantreibt. Dieser Aufsatz hat ihn zum aussichtsreichsten Kandidaten für den neuen Lehrstuhl für Geschichte in Oxford gemacht. Aber wenn ich das finde, wonach ich suche, nämlich das Original von Grimbalds Text, von dem ich glaube, daß der Antiquar Pepperdine es im Jahr 1663 gesehen hat, dann kann ich seine Argumente widerlegen und beweisen, daß Grimbalds Leben authentisch ist.«
»Wer war denn der aussichtsreichste Kandidat, bevor Scuttard seinen Artikel veröffentlichte?«
Ich spürte, wie ich errötete. »Ich hatte mich noch nicht entschieden, ob ich mich darum bewerben wollte oder nicht, falls es das ist, was du meinst.«
»Hat Scuttard dich angegriffen, weil er in dir einen möglichen Rivalen sieht?«
»Ganz ohne Zweifel.«
»Wenn du das Manuskript fändest, dann würde das deine Chancen also immens verbessern?«
Die Boshaftigkeit seines Tons überraschte mich, und ich fragte mich, ob er so bitter war, weil er trotz seiner Brillanz nur ein enttäuschendes Examen gemacht hatte und alle Hoffnungen, Fellow in Cambridge zu werden, hatte begraben müssen. Ein Grund für seinen Mißerfolg war seine Weigerung gewesen, sich um Dinge zu bemühen, für die er sich nicht wirklich interessierte, aber sicher waren auch noch andere Faktoren dafür verantwortlich gewesen. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich den Lehrstuhl überhaupt haben will«, erwiderte ich. »Alles, was ich mir wünsche, ist ein ruhiges Leben als Wissenschaftler und Dozent an einer Universität, und das habe ich ja bereits. Der Respekt und die Zuneigung meiner Studenten bedeuten mir mehr als der Titel Professor.«
Austin lächelte auf höchst irritierende Weise vor sich hin. »Angenommen, du findest das Manuskript, aber es widerlegt deinen Standpunkt?«
Um das Thema zu wechseln, warf ich ein: »Warum machst du dein Geschenk nicht auf, Austin?«
Er hob es auf. »Ich hätte es fast vergessen.« Vorsichtig entfernte er das Papier und hielt sich das Buch vors
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