Die Schwarze Keltin
veranlaßt werden könnten, die Anker zu lichten, in See zu stechen und ihren Gefangenen mit nach Irland zu nehmen, wo ihm niemand mehr helfen konnte.
Mochte er noch so lange in die Ferne schauen, es kam ihm keine Erleuchtung und nicht ein Schimmer einer Idee, wie sein Herr befreit werden könnte. Cadwaladr, der bereits soviel verloren hatte, sollte nun gezwungen werden, was er noch an Schätzen und an Vieh besaß, abzuliefern, um seine Freiheit zu erkaufen. Gwion war bekümmert darüber, daß Cadwaladr nicht einmal sicher sein konnte, für diese Summe sein verlorenes Land zurückzuerhalten. Sogar wenn Owain recht behielt und die Dänen nicht vorhatten, ihm etwas zuleide zu tun, vorausgesetzt die Schuld wurde bezahlt, würde die Demütigung von Gefangenschaft und Unterwerfung in diesem stolzen Gemüt wie ein Geschwür nagen. Gwion mißgönnte Otir und seinen Männern jedes Silberstück ihres Lohns. Man hätte einwenden können, Cadwaladr hätte eben niemals die Wikinger gegen seinen Bruder zu Hilfe rufen sollen, doch auf seine impulsive Weise hatte er sich schon immer voreilig und unklug verhalten. Männer, die zu ihm standen, hatten das wie die waghalsigen und mutwilligen Launen eines tapferen und tollkühnen Kindes ertragen und versucht, aus dem daraus entstehenden Durcheinander das Beste zu machen. Es war weder freundlich noch gerecht, ihm die Nachsicht, die ihm zuvor nie versagt worden war, jetzt zu entziehen, wo er sie am meisten brauchte. Gwion ging weiter über die Anhöhe und blickte angestrengt nach Norden. Auf der Kuppe des Hügels standen ein paar niedrige und verkrüppelte Bäume, die der Wind landeinwärts gebogen hatte. Dort stand wie angewurzelt ein Mann, ruhig und fest wie ein Baum, und starrte wie Gwion in die Richtung, wo die dänische Streitmacht verborgen war. Der Mann war etwa Mitte Dreißig. Er wirkte eckig und muskulös, sein braunes Haar zeigte die ersten feinen Spuren von Grau, und seine Augen schauten unter dicken schwarzen Brauen dunkel auf die Dünen, die sich bis zum Horizont ausdehnten. Er war unbewaffnet. Brust und Arme hatte er freigemacht und seinen mächtigen Körper dem Morgenlicht ausgesetzt. Noch so ruhig und gesammelt, wie er in die Ferne schaute, flößte er Gwion Achtung ein. Obwohl er Gwions Schritte in dem trockenen Gras zwischen den Bäumen gehört haben mußte, drehte er weder den Kopf noch löste er sich auch nur einen Augenblick aus seinen Beobachtungen, bis Gwion neben ihm stand. Sogar jetzt rührte er sich nur langsam und drehte sich scheinbar teilnahmslos um.
»Ich weiß«, sagte er schließlich, als wäre er sich schon lange der Gegenwart des anderen bewußt gewesen, »hinüberschauen bringt uns nicht weiter.«
Das war genau das, was Gwion auch dachte, und dabei so passend ausgedrückt, daß ihm einen Moment die Luft wegblieb. Vorsichtig fragte er: »Du auch? Was gibt es da drüben bei den Dänen, das dir soviel bedeutet?«
»Meine Frau«, sagte der andere mit kurzem, trockenem Nachdruck. Mehr war nicht nötig, auszudrücken, wie schlimm man ihn beraubt hatte.
»Deine Frau!« wiederholte Gwion verständnislos. »Durch welchen seltsamen Zufall...« Hatte Cuhelyn nicht etwas von drei Geiseln gesagt, die durch Cadwaladrs Fahnenflucht und Provokation in Gefahr geraten waren, zwei Mönche und eine junge Frau, die die Wikinger gefangengenommen hatten? Zwei Mönche und eine Frau waren auch von Aber aus in Owains Gefolge mitgezogen. Erst waren sie Cadwaladrs Söldnern zum Opfer gefallen, um jetzt auch noch als Pfand für Cadwaladrs Betrug an ihnen festgehalten zu werden. Was, wenn den Dänen der Sinn nach Rache stand? Ach, die Liste von Cadwaladrs Untaten wurde immer länger, und es fiel Gwion immer leichter, Owains Sturheit zu verstehen. Aber Cadwaladr hatte eben gar nicht nachgedacht, denn er überlegte vorher nie, sondern handelte erst und bereute später. Nun sollte er Gelegenheit haben, für alle seine Taten zu büßen, seit er den ersten fatalen Fehler begangen hatte, ins Königreich Dublin zu fliehen und dort um Hilfe nachzusuchen.
Ja, diese Frau – Gwion erinnerte sich an sie. Eine Schönheit mit schwarzen Augenbrauen, groß, schlank und wortkarg, die mit ernster Miene an der Tafel des Fürsten Wein und Met ausgeschenkt und gelegentlich ein bitteres und trauriges Lächeln für den Geistlichen gehabt hatte, von dem es hieß, er sei ihr Vater. Es schien, als wollte sie ihn daran erinnern, auf wie dünnem Eis er sich bewegte und wie leicht sie ihn einbrechen
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