Die Schwarze Schwesternschaft
Gemüses für Jaelle beiseite. Während der ganzen Mahlzeit wartete sie darauf, dass die Tür sich öffnen und ihre Freipartnerin zurückkehren werde. Doch sie waren schon beim Nachtisch, als Jaelle endlich erschien.
»Ich dachte, ich würde nach unserm Erlebnis in diesem Dorf nie wieder Rotbeerensoße essen.« Vanessa träufelte das süße rote Zeug auf die glatte Oberfläche einer Eiercreme. »Trotzdem schmeckt sie hier ebenso gut wie dort, und diesmal bin ich wenigstens sicher, dass keine schädliche Droge hineingemischt ist.«
In diesem Augenblick trat Jaelle ein, und alle drehten sich zu ihr um.
»Wir haben dir eine reichliche Portion aufgehoben«, sagte Vanessa. »Aber wahrscheinlich ist sie kalt wie das Herz eines Banshees.«
»Banshee-Herz, gekocht oder gebraten, ist eine Speise, die ich niemals zubereiten würde«, erklärte Cholayna. »Wenn der Rest zu kalt ist, können wir ihn wahrscheinlich in der Küche aufwärmen lassen.«
»Nein, das macht nichts. Kalter Rabbithorn-Braten wird bei den feinsten Banketten serviert.« Jaelle nahm Platz und bediente sich mit Rabbithorn und Pilzen. Ihr Gesicht war kalt und verschlossen.
»Was war das für eine Botschaft von Rafi, Liebes?«, erkundigte Magda sich.
»Nichts weiter, als dass ich ihr so schnell wie möglich nachkommen soll«, antwortete Jaelle. »Aber Arlinda hatte noch eine andere Botschaft für mich.« Danach schwieg sie so lange, dass Vanessa schließlich kriegerisch fragte: »Und? Ist sie ein so großes Geheimnis?«
»Gar nicht. Heute Abend, so sagte Arlinda mir, wird eine kommen, wahrscheinlich von jenem Ort, und mit uns sprechen. Und aus der Art, wie Arlinda von ihr sprach, erkannte ich, dass sie Angst hat. Wenn nun die Schwesternschaft so voller Güte ist, wie ich es immer gehört habe, braucht sich eine Frau wie Arlinda doch nicht vor ihr zu ängstigen! Was Arlinda hier in Nevarsin, einer Cristofero-Stadt, zu Stande gebracht hat, ist fast unglaublich. Warum zittert sie vor der Schwesternschaft?« Jaelle goss sich von dem gewürzten Wein ein, nippte daran und schob den Becher weg.
»Also sollen wir verhört werden«, sagte Camilla. »Das ist Teil jeder Suche, Shaya, Liebes. Die Göttin weiß, dass du nichts zu befürchten hast. Glaubst du wirklich, man wird etwas an uns auszusetzen haben?«
»Oh, wie soll ich das wissen? Wie soll ich wissen, was sie verlangen?« Jaelle kaute kaltes Rabbithorn so gleichgültig, als sei es eine Notration. Ihr Gesicht verriet nichts. »Sie werden mir im Namen der Göttin Fragen stellen, und ich weiß nicht, was ich ihnen antworten soll.«
Diese Haltung passte Camilla gar nicht. »Du bist, was du bist, Chiya, wie wir alle sind, was wir sind, und keine von uns kann anders sein. Was mich betrifft, bringe ich diesen Frauen von der schwarzen Schwesternschaft nicht mehr Verehrung entgegen als ihrer Göttin. Hat sie mich nicht in eine Welt hinausgestoßen, die mich behandelt hat, wie ich, die ich nur ein Mensch bin, das niedrigste Geschöpf nicht behandeln würde? Meint ihre Göttin es schlecht mit mir? Dann will ich von ihr den Grund wissen, denn als das Unglück mich traf, war ich noch so jung, dass ich gar nichts Böses getan haben konnte, um es zu verdienen. Meint sie es dagegen gut mit mir, will ich sie fragen, warum sie sich eine Göttin nennt, wenn sie doch machtlos war, Böses zu verhindern. Und sobald ich ihre Antwort gehört habe, will ich über sie urteilen, wie sie oder ihre Stellvertreterinnen mich zu beurteilen gedenken!« Sie goss sich noch einmal ihren Weinbecher voll. »Fürchtet euch doch nicht vor diesen Frauen, die vorgeben, in Ihrem Namen zu sprechen.«
»Ich fürchte mich nicht«, erklärte Jaelle langsam. »Ich wundere mich, warum Arlinda sich fürchtet, das ist alles.«
Cholayna hatte ihren Schlafsack - den Einzelschlafsack terranischer Machart - auf dem Boden ausgebreitet, lehnte sich auf ihre Satteltaschen und ihr Bündel als Kissen zurück und schrieb in ein kleines Buch. Sie hatte, dachte Magda, auf bewundernswerte Weise zu den Gewohnheiten einer Feldagentin zurückgefunden. Vanessa wandte große Sorgfalt darauf, ihr Haar zu kämmen und zum Flechten abzuteilen.
Magda überlegte, ob sie dem Beispiel der einen oder der anderen folgen sollte, und war schon dabei, ihren Schlafsack aus seiner Hülle zu ziehen, als eins der Lehrmädchen hereinkam. Sie trug ein gestricktes Lederkissen, einen Sitz für einen geehrten Gast.
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