Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
vom Reiten zerzaust war, hing ihr immer noch offen in den Rücken.
Wilhelmina, aus deren Gesicht sämtliche Farbe gewichen war, warf Jaenelle einen Blick zu. »Graff bekommt bestimmt einen Tobsuchtsanfall, wenn sie dein Haar sieht.«
»Graff ist ein Miststück«, entgegnete Jaenelle grimmig, den Blick auf den Pfad gerichtet, der sich am Feld vorbei durch eine Baumgruppe schlängelte.
Insgeheim entschied Daemon, dass es sich bei den beiden Ponys um Stuten handeln musste. Sämtliche männliche Wesen waren bei Jaenelles messerscharfem Tonfall zusammengezuckt.
»So, das wär’s«, meinte Andrew und glitt unter Tänzers Hals hindurch. »Bleib du auf der Stute, uns bleibt nicht genug Zeit, noch mehr zu ändern.« Er stieg auf, griff nach den Zügeln und das Pferd setzte sich in Bewegung. Offensichtlich war der Hengst erbost, doch er ließ sich in Richtung des Weges lenken. Wilhelmina folgte Andrew, bemüht, das unruhige Pony zu besänftigen, was es nur noch nervöser zu machen schien.
Daemon saß auf, trieb sein Pferd an, hielt jedoch gleich darauf wieder inne. Jaenelle rührte sich nicht vom Fleck, ihre Augen waren unverwandt auf die vor ihnen liegende Wegbiegung gerichtet. Schmerz und Wut lagen in diesem Blick, eine Seelenqual, die so tief wurzelte, dass ihr keine Zauberkunst der Welt hätte helfen können. Unter den kindlichen Gesichtszügen zeichnete sich ein uraltes Antlitz ab, dessen Ausdruck ihn innerlich erstarren ließ.
Er blinzelte die Tränen zurück und auf einmal hatte er wieder Miss Jaenelle mit ihrem Kindergesicht und den nicht allzu intelligent dreinblickenden, sommerhimmelblauen
Augen vor sich. Sie schenkte ihm ein Kleinmädchenlächeln und trieb ihr Pony an, das just in dem Moment lostrabte, in dem Philip und Leland um die Kurve bogen und abrupt stehen blieben.
Philips Blick fiel zuerst auf Daemon, dann auf Jaenelle. Er sagte nichts, als er und Leland sich der Gruppe anschlossen, lenkte sein Pferd jedoch umgehend neben Jaenelles Pony und ritt den ganzen Weg bis zu den Ställen an ihrer Seite.
Daemon befestigte die rubinbesetzten Manschettenknöpfe an seinem Hemd und zog sich sein Dinnerjackett an. Seit er am Vormittag die Stallungen verlassen hatte, hatte er keine einzige Minute für sich allein gehabt. Erst hatte Leland einen Begleiter für einen ausgedehnten Einkaufsbummel benötigt, in dessen Verlauf sie schlussendlich nichts gekauft hatte, dann war es Alexandra eingefallen, eine Kunstgalerie zu besuchen, und schließlich hatte Philip darauf bestanden, mit ihm sämtliche langweiligen Einladungen zu sämtlichen langweiligen gesellschaftlichen Anlässen durchzugehen, an denen Daemon eventuell als Lelands oder Alexandras Begleiter würde teilnehmen müssen.
Irgendetwas heute Morgen auf dem Feld hatte alle nervös gemacht, etwas, das wie ein Gewitter aufgezogen war. Sie wollten ihm die Schuld geben und so tun, als habe er die Mädchen aus der Fassung gebracht. Vor allem aber wollten sie glauben, dass nicht sie selbst die allgegenwärtige Gewalt hervorgebracht hatten, und das ging nur, wenn sie ihn dafür verantwortlich machten.
Frauen haben gern ein Geheimnis.
Nicht so Lady Jaenelle Benedict. Sie tat nicht geheimnisvoll, sie war es. Selbst im hellsten Tageslicht umgab sie ein mitternächtlicher Nebel, der gleichzeitig verbarg und enthüllte. Ihre Aufrichtigkeit war von den dauernden Strafen abgenutzt worden. Vielleicht war das auch gut so. Sie hatte gelernt, etwas zu verbergen, und begriff zumindest teilweise,
wie ihre Familie reagieren würde, wenn mehr über ihr wahres Wesen bekannt würde; und dennoch konnte sie sich nicht genug verstellen, weil ihr die Menschen in ihrem Umfeld am Herzen lagen.
Wie viele Leute wussten von ihr?, fragte sich Daemon, während er sich die Haare bürstete. Wie viele Leute betrachteten sie als ihr Geheimnis?
Sämtliche Stalljungen wie auch Guinness wussten, dass sie auf Tänzer ritt.
Doch Philip, Alexandra, Leland, Robert und Graff hatten nicht die leiseste Ahnung.
Die Köchin wusste über ihre Heilfähigkeiten Bescheid, ebenso Andrew sowie ein Dienstmädchen, dem ein Lakai die Lippe aufgeschlitzt hatte, als es sich gegen seine Annäherungsversuche zur Wehr gesetzt hatte. Daemon hatte die junge Frau mit der stark blutenden Lippe an jenem Morgen gesehen. Nur eine Stunde später war sie ihm erneut in der Eingangshalle begegnet, die Lippe leicht geschwollen, ansonsten jedoch unversehrt. In ihren Augen hatte ein verblüffter, ehrfürchtiger Ausdruck gelegen. Und
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