Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
ein alter Gärtner wusste ebenfalls von Jaenelles Heilkräften, denn er befand sich seit kurzer Zeit im Besitz einer Salbe gegen seine Knieschmerzen. Er selbst wusste natürlich auch davon.
Doch Philip, Alexandra, Leland, Robert und Graff wussten nichts.
Wilhelmina wusste, dass ihre Schwester gelegentlich stundenlang verschwand, um unbekannte Freunde und einen namenlosen Mentor zu besuchen; ebenso war sie sich im Klaren darüber, wie das Hexenblut in die Gartennische gekommen war.
Er kannte ihr mitternächtliches Herumstreunen und ihr Interesse an den uralten Büchern über die Kunst. Außerdem wusste er, dass sich in dem kindlichen Kokon etwas Schreckliches und zugleich Wunderschönes befand.
Doch Philip, Alexandra, Leland, Robert und Graff hatten nicht die leiseste Ahnung. Sie sahen lediglich ein Kind, das
nicht einmal die einfachste Kunst erlernen konnte; ein Kind, das sie für eigenartig und wirklichkeitsfremd hielten; ein Kind, das kein Blatt vor den Mund nahm und grausame Wahrheiten aussprach, die kein Erwachsener je erwähnen oder hören wollen würde; ein Kind, das sie einfach nicht genug lieben konnten, um es zu akzeptieren; ein Kind, das ständig ihre gewohnten Kreise störte.
Wie viele Leute auf Chaillot wussten, was sie war?
Philip, Alexandra, Leland, Robert und Graff jedenfalls nicht. Ausgerechnet diejenigen, die sie beschützen und ihr Sicherheit geben sollten. Sie waren es vielmehr, die eine Bedrohung für ihre Sicherheit darstellten, in deren Macht es stand, ihr wehzutun, sie wegzusperren und zu vernichten. Sie, die eigentlich zu ihrem Schutz da sein sollten, waren ihre schlimmsten Feinde.
Und aus diesem Grund waren sie auch die seinen.
Daemon warf einen letzten Blick auf sein kaltes Spiegelbild, um sicherzugehen, dass alles perfekt saß, bevor er sich zum Abendessen begab.
6Terreille
M it einem nervösen Lächeln warf Leland einen Blick auf die Uhr in ihrem hell erleuchteten Wohnzimmer. Statt Karten befanden sich eine gekühlte Flasche Wein und zwei Gläser auf dem Tisch. Die Schlafzimmertür stand ein Stück offen und durch den Spalt drang ein weicher Lichtschimmer.
Daemons Eingeweide verkrampften sich und er hieß die vertraute Kälte willkommen, die ihm die Adern einzufrieren schien. »Du hast nach mir gerufen, Lady Benedict.«
Lelands Lächeln verschwand. »Ja ... also ... du siehst müde aus. Ich meine, wir haben dich in den letzten Tagen so auf Trab gehalten, und ... nun ... vielleicht solltest du jetzt
besser auf dein Zimmer gehen und dich schlafen legen. Ja, du siehst müde aus! Warum gehst du nicht einfach auf dein Zimmer? Du wirst doch auf dein Zimmer gehen und nicht irgendwo anders hin, nicht wahr? Ich meine ...«
Jetzt war es an Daemon zu lächeln.
Leland blickte zur Schlafzimmertür und erbleichte. »Es ist nur so ... Ich fühle mich selbst nicht ganz wohl heute Abend und mir ist nicht nach Kartenspielen.«
»Mir auch nicht.« Daemon griff nach der Weinflasche und einem Korkenzieher.
»Lass das ruhig, das ist nicht nötig!«
Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
Leland zog sich hastig hinter einen Sessel zurück.
Nachdem er Flasche und Korkenzieher auf den Tisch zurückgelegt hatte, steckte er die Hände in die Hosentaschen. »Du hast vollkommen Recht, Lady. Ich bin müde. Mit deiner freundlichen Erlaubnis werde ich mich jetzt zurückziehen.« Aber nicht auf sein Zimmer. Noch nicht.
Leland lächelte zaghaft, blieb jedoch hinter dem Sessel verschanzt.
Daemon verließ das Zimmer und schlenderte den Gang entlang, als er jedoch um die nächste Ecke gebogen war, blieb er stehen. Er zählte bis zehn und ging dann zwei Schritte zurück.
Vor Lelands Tür stand Philip, den Daemons plötzliches Erscheinen am Ende des Korridors hatte erstarren lassen. Acht Herzschläge lang starrten die beiden einander an, bevor Daemon höflich zum Gruß nickte und außer Sichtweite trat. Er hielt inne und lauschte. Nach einiger Zeit hörte er, wie sich Lelands Tür leise öffnete, wieder schloss und wie sie von innen abgesperrt wurde.
Er lächelte. Das war also das Spiel, das hier gespielt wurde. Es war nur schade, dass sie nicht schon früher darauf verfallen waren, denn dann wären ihm die ganzen endlos langen Stunden mit Leland beim Kartenspielen erspart geblieben. Doch er hatte noch nie etwas dagegen gehabt, sein
Wissen über die Leute, denen er diente, zu seinen Gunsten einzusetzen. Und dies war genau die Art von Druckmittel, das er brauchte, um sich Philip vom Hals zu halten.
Weitere Kostenlose Bücher