Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
worden waren. Die Folge dieser bedauernswerten Entwicklung war unweigerlich pure Selbstsucht.
Auf ihrem Weg durch die Gärten registrierte Surreal belustigt die Reaktionen, die ihre Anwesenheit hervorrief. Junge Männer, die allein umherstolzierten, betrachteten sie mit unverhohlenem Interesse, während andere, die sich in Begleitung der Dame ihres Herzens befanden, rot anliefen. Männer hingegen, die sich pflichtgemäß mit ihrer Gattin in der Öffentlichkeit sehen ließen, starrten unbewegt geradeaus; der Blick der betreffenden Ehefrau wanderte von Surreal zu dem blassen, verkniffenen Gesicht ihres Mannes und wieder zurück zu Surreal, die sämtliche Leute ignorierte, was ihren Kunden sehr entgegenzukommen schien. Nun, zumindest ignorierte sie fast alle. Einem Krieger, der ein paar Nächte zuvor mit einer jungen Hure sehr brutal umgesprungen war, schenkte sie ein verschwörerisches Lächeln und winkte ihm zur Begrüßung zu, bevor sie eiligst das Weite suchte. Sie lachte in sich hinein und wünschte sich, die polternden Erklärungsversuche des Kriegers seiner weiblichen Begleitung gegenüber mit anhören zu können.
Doch nun war Schluss mit dem Vergnügen. Zeit für die Arbeit!
Während sie weiter die Wege entlangschlenderte, näherte sie sich dem schmiedeeisernen Zaun, der den privaten Garten von den öffentlichen trennte. Unter ihrem Hemd trug sie das graue Juwel in einer goldenen Fassung, die eine exakte Nachbildung derjenigen war, in der sich Titians grünes Juwel befand. Seit sie die Gärten betreten hatte, hatte sie mit Grau Suchsignale ausgesandt. Glücklicherweise hatte sie keinerlei Antwort erhalten, denn das würde bedeuten, dass Philip sich in der Nähe aufhielt – und Philip war nicht derjenige, nach dem sie suchte.
Als sie an den Zaun trat, sandte sie das private Signal aus, das Daemon ihr so viele Jahre zuvor beigebracht hatte.
Wenn er es erhielt, würde er wissen, dass sie ihn brauchte. Dann wandte sie sich ab und erkundete die kleineren Pfade in der Nähe des Zauns.
Vielleicht war er nicht im Haus oder er konnte sich nicht freimachen. Es konnte aber auch sein, dass er absichtlich nicht auf das Signal reagierte. Seit der Nacht, in der sie ihn dazu gebracht hatte, ihr Haylls Hure zu zeigen, hatte sie nicht gewagt, es einzusetzen.
Sie konnte ihn spüren, bevor sie ihn sehen konnte. Er kam einen Pfad hinter ihr entlang, und so machte sie kehrt und ging in seine Richtung, wobei sie gelegentlich stehen blieb, um die spät blühenden Blumen zu beiden Seiten zu bewundern. Der Pfad war relativ abgelegen, sodass die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß war, dass jemand sie sehen würde. Dennoch wollte Surreal etwaige Fragen vermeiden und so tat sie, als stolpere sie und habe sich den Fuß verrenkt, als sie an ihm vorüberging.
»Verdammt«, sagte sie weithin hörbar, während Daemon sie stützend am Arm hielt. »Halt kurz still, Süßer, ja?« Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, lehnte sich an ihn und hantierte an ihrem Schuh herum. »Jemand sucht nach dir«, flüsterte sie und gewahrte, wie er erstarrte und sich zu seinen Füßen eine Frostschicht bildete.
»Ach ja? Weswegen?«
Da Surreal noch immer mit ihrem Schuh beschäftigt war, konnte sie sein Gesicht nicht sehen, doch sie wusste, dass er lediglich eine leicht affektierte Miene zur Schau trug.
»Sie glaubt, du seiest hinter einem Kind her, das offensichtlich von enormen Interesse für sie ist. Ein Kind, das Dorothea aus dem Weg räumen will. Ich an deiner Stelle würde gut aufpassen. Sie hat mir keinen Auftrag erteilt, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht mit anderen gesprochen hat, die gewillt sind, ihr Glück bei dir zu versuchen. « Sie setzte den Fuß auf den Boden und ließ den Knöchel ein wenig kreisen, als wolle sie ihn probehalber belasten.
»Weißt du, wer sie ist?«
Surreal runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, während sie immer noch angestrengt ihren Schuh betrachtete. »Eine Hexe, die bei Cassandras Altar haust. Schwer zu sagen, wie lange sie schon dort ist. Ein paar der Zimmer sind hergerichtet, mehr nicht, aber ich habe schon in schlimmeren Unterkünften gewohnt.«
Daemon drehte ihr weiterhin nicht das Gesicht zu. »Danke für die Warnung. Wenn du mich jetzt entschul …«
»Prinz? Prinz, komm her und sieh dir das an!«
Surreal blickte in die Richtung, aus der die Mädchenstimme kam. Die Stimme klang wie Musik, dachte sie, als das dünne, goldhaarige Mädchen um die nächste Biegung hüpfte, um vor ihnen
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