Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
aufrechtzuerhalten, während sie sich bewegte. Als eine eisige Windböe aufkam, erzitterte Surreal und schlang den Mantel fester um sich.
Etwas strich sanft an ihrer Schulter vorbei.
Sie wirbelte herum und unterzog den Gemüsegarten einer mentalen Überprüfung. Als sie nichts finden konnte, warf sie dem Baum einen kurzen Blick zu, bevor sie ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder auf die versteckte Tür richtete.
Der Baum hatte einen perfekten Ast. Bei den ganzen Mädchen, die hier eingesperrt waren, könnten die Onkel wenigstens eine Schaukel aufhängen.
Der Wind legte sich wieder. In der stillen Nachtluft hörte sie, wie eine Tür geschlossen wurde. Augenblicklich spannte Surreal sich an. Im Mondlicht konnte sie erkennen, dass Kartane an der Außenmauer lehnte, bevor er davoneilte.
Mehr als alles auf der Welt wollte sie ihn verfolgen, ihn in eine düstere Ecke drängen und mit ansehen, wie das Blut aus seiner Kehle strömte. Mit Sadi war einfach nicht zu reden. Er ...
In der Luft um sie her knisterte es. Der Rasen und das Gebäude vor ihr wirkten fast durchsichtig und Surreal war auf einmal schwindelig.
Etwas strich an ihrer Schulter vorbei.
Surreal blickte nach oben. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Dann schlug sie sich die Hand vor den Mund.
Das Mädchen, das an einer Schlinge von dem perfekten Ast des Baumes baumelte, starrte aus leeren Augenhöhlen zurück. Seil und Mädchen waren durchsichtig, doch Surreal hegte nicht den leisesten Zweifel daran, dass beides da war, genauso wenig wie an den dunklen Blutflecken auf den Wangen des Mädchens und seinem Kleid.
»Hallo, Surreal«, erklang eine flüsternde Mitternachtsstimme. »Das ist Marjane. Sie sagte einst einem Onkel, dass sie seinen Anblick nicht ertragen könnte, also schmierten sie ihr Honig auf die Augen und hängten sie hier auf. Sterben sollte sie eigentlich nicht, aber sie setzte sich so heftig gegen die Krähen zur Wehr, die kamen und ihr die Augen auspickten, dass der Knoten rutschte und die Schlinge ihr das Genick brach.«
»Kannst ... kannst du sie nicht von dort herunterholen?«, sagte Surreal leise, die sich noch immer nicht umdrehen wollte, um sich dem zu stellen, was sich in ihrem Rücken befinden mochte.
»Oh, ihr Körper hängt schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr dort. Jetzt ist Marjane nur noch ein Geist. Doch wenn ich hier bin, verfügt sie noch über etwas Kraft. Um den Baum herum sind die Mädchen sicher, weil die Onkel nicht gerne getreten werden.«
Surreal drehte sich um und musste einen Aufschrei ersticken.
»Sssch«, meinte Jaenelle mit einem grimmig-süßen Lächeln. Sie war ebenso durchsichtig wie Marjane, und das Spitzennachthemdchen, das sie trug, bewegte sich nicht im Wind. Nur die saphirnen Augen schienen lebendig zu sein.
Surreal wandte den Blick ab. Sie fühlte sich magisch angezogen und ahnte instinktiv, dass alles, was sich jetzt in jene Augen ziehen ließ, nie wieder zum Vorschein käme.
»Du bist es nicht, die eine Rechnung zu begleichen hat,
Surreal«, sagte Jaenelle mit ihrem Mitternachtsflüstern. »Er schuldet sein Blut nicht dir.«
»Aber diejenigen, denen er es schuldig ist, können es nicht eintreiben!«, zischte Surreal, ohne die Stimme zu erheben.
Jaenelle lachte. Es war, als höre man das Gelächter des Winterwindes. »Meinst du? Es gibt nicht nur einen Tod, Surreal.«
»Ich habe eine Rechnung mit ihm offen wegen Titian«, beharrte Surreal.
»Titian hat eine Rechnung mit ihm offen wegen Titian. Wenn die Zeit reif ist, wird er ihr seine Schuld entrichten.«
»Er hat sie umgebracht.«
»Nein, er hat sie zerbrochen und seinen Samen in ihr hinterlassen. Ein Mann namens Greer, Dorotheas Spürhund, hat sie umgebracht.«
Surreal wischte sich die Tränen fort, die ihr das Gesicht hinabrannen. »Du bist tot, nicht wahr?«, meinte sie matt.
»Nein, mein Körper ist immer noch hier.« Jaenelle deutete auf Briarwood und legte die Stirn in Falten. »Sie haben mir ihre spezielle ›Medizin‹ gegeben, die Mädchen dazu bringen soll, artig zu sein, aber etwas ist schief gegangen. Ich bin immer noch mit meinem Körper verbunden. Ich kann die Verbindung nicht zerbrechen und ihn verlassen, aber dieser neblige Ort ist sehr schön. Kannst du den Nebel sehen, Surreal?«
Surreal schüttelte den Kopf.
»Wenn ich mich im Nebel befinde, kann ich sie alle sehen. « Jaenelle lächelte und streckte ihr eine durchsichtige Hand entgegen. »Komm, Surreal, lass mich dir Briarwood zeigen.«
Nachdem Surreal
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