Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
drein. »Deje, du hast selbst in den Zimmern gearbeitet, bevor dich der Ehrgeiz packte. Also weißt du ganz genau, dass man für solche Dinge seine kleinen, schwarzen Notizbücher hat.«
Deje verscheuchte Surreal von der Rezeption. »Jetzt aber fort mit dir! Ich habe viel zu tun und du auch.«
Als Surreal den breiten Korridor entlangging, registrierten ihre scharfen Augen die Zimmer zu beiden Seiten. Es stimmte, Deje war ehrgeizig. Mit Hilfe von Geschenken zufriedener Kunden hatte sie eine herrschaftliche Villa gekauft und sie in das beste Haus des Roten Mondes im gesamten Bezirk verwandelt. Im Gegensatz zu den anderen Häusern fand ein Mann bei Deje nicht nur einen warmen Körper im Bett vor; es gab ein kleines, privates Esszimmer, in dem die ganze Nacht über ausgezeichnete Speisen serviert wurden; ein Empfangszimmer, in dem sich diejenigen mit künstlerischem Naturell regelmäßig versammelten und ihre Werke debattierten, während sie kleine Leckerbissen zu sich nahmen und guten Wein tranken; ein Billardzimmer, in dem sich die Politikbegeisterten trafen und ihre nächsten Schritte planten; eine Bibliothek voller hervorragender Bücher und
dicker Ledersessel; Privaträume, die es einem Mann erlaubten, dem Alltag zu entfliehen, und wo er nichts als ein köstliches Abendessen, eine gekonnte Massage und Ruhe vorfand; und schließlich gab es die Zimmer und die Frauen, die für die fleischlichen Gelüste der Gäste da waren.
Nachdem Surreal ihr Zimmer gefunden hatte, sperrte sie die Tür hinter sich ab und musterte das Gemach mit einem anerkennenden Nicken. Weiche, flauschige Teppiche; weiße Wände mit geschmackvollen Aquarellen; dunkle Möbel; ein übergroßes, mit Gaze verhangenes Himmelbett; Musikkugeln auf reich verzierten Messingständern; eine Glastür, die in den von einer Mauer umgebenen, privaten Garten führte, in dem sich ein kleiner Brunnen, winzige Weiden sowie verschiedene in der Nacht blühende Blumen befanden; und ein Badezimmer mit einer Dusche und einer riesigen, in den Boden eingelassenen Badewanne, von der aus man durch ein großes Fenster in den Garten blicken konnte.
»Sehr gut, Deje«, sagte Surreal leise. »Sehr, sehr gut.«
Sie richtete sich schnell in dem Zimmer ein, rief mittels der Kunst ihre Arbeitskleidung herbei und hängte sie behutsam in den Schrank. Viel hatte sie nie bei sich, immer gerade genug, um die verschiedenen Geschmäcker in dem jeweiligen Territorium zufrieden stellen zu können. Der Großteil ihrer Sachen war auf ein Dutzend Verstecke in ganz Terreille verstreut.
Surreal musste ein Schaudern unterdrücken. Es war besser, nicht an diese Verstecke zu denken und vor allem nicht an ihn .
Nachdem Surreal die Glastür geöffnet hatte, um dem Plätschern des Brunnens lauschen zu können, ließ sie sich in einem Sessel nieder, die Beine unter sich angezogen. Da erschienen zwei schwarze Lederbücher und schwebten vor ihr in der Luft. Sie griff nach dem einen und blätterte bis zur letzten beschriebenen Seite darin. Dann rief sie einen Stift herbei und machte eine Notiz.
Der Auftrag war erledigt. Zwar war der Narr schneller gestorben, als ihr lieb gewesen war, doch die Schmerzen waren köstlich und die Bezahlung sehr, sehr gut gewesen.
Sie ließ das Buch verschwinden und schlug das andere auf, um den Eintrag nachzulesen, den sie benötigte. Daraufhin stellte sie das Menü für den Abend zusammen und schickte es mit einem Wink in die Küche. Während sie das zweite Notizbuch verschwinden ließ, stand sie auf und streckte sich. Nach einem weiteren Wink hielt sie das gewohnte Gewicht des Messergriffes in der Hand, dessen Stilettklinge eine glänzende Beruhigung war. Als sie die Hand in die andere Richtung drehte, verschwand das Messer und sie klatschte in die Hände. Heute Abend reichte ihr dieser eine Mann. Er hatte ihr noch nie Ärger bereitet, außerdem – bei der Erinnerung musste sie lächeln – war sie es gewesen, die ihn eingewiesen hatte ... vor wie langer Zeit? Zwölf, vierzehn Jahren?
Sie duschte rasch, frisierte sich die Haare, sodass sich die Nadeln leicht entfernen ließen, schminkte sich und schlüpfte in ein hauchdünnes, grünes Kleid, das genauso viel entblößte, wie es verbarg. Schließlich stellte sie sich mit zusammengebissenen Zähnen dem Unvermeidlichen und trat vor den freistehenden Spiegel, um das Gesicht und den Körper zu betrachten, die sie ihr ganzes Leben lang gehasst hatte.
Es war ein fein geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen, einer
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