Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
schmalen Nase und beinahe unnatürlich großen, goldgrünen Augen, die alles sahen und nichts verrieten. Ihr schlanker, wohlgeformter Körper wirkte täuschend zerbrechlich, wies jedoch stahlharte Muskeln auf, die sie sich im Laufe der Jahre antrainiert hatte, um für den Beruf, den sie sich erwählt hatte, immer in bester Form zu sein. Es war die hellbraune Haut, die ihr ein wütendes Knurren entlockte. Hayllische Haut. Die Haut ihres Vaters. Wenn sie ihr Haar offen trug und die Farbe ihrer Augen hinter getönten Gläsern verbarg, hätte man sie für hayllisch
halten können. Die Augen verrieten sie als Mischling. Die Ohren, die leicht spitz zuliefen ... es waren Titians Ohren.
Titian, die aus keinem Volk stammte, das Surreal während ihrer ganzen Reisen durch Terreille kennen gelernt hatte. Titian, die durch Kartane SaDiablos Speer zerbrochen worden war. Titian, die entkommen war und ihren Lebensunterhalt mit der Hurerei verdient hatte, damit Kartane sie nicht finden und das Kind vernichten könnte, das in ihr wuchs. Titian, die man eines Tages mit durchschnittener Kehle auffand und die ohne Grabstein verscharrt worden war.
All die Morde, all jene Männer, die in ihren vorherbestimmten Tod gingen, waren Generalproben für den Vatermord. Eines Tages würde sie Kartane zur rechten Zeit am rechten Ort finden und sie würde ihm heimzahlen, was er Titian angetan hatte.
Surreal wandte sich vom Spiegel ab und zwang sich, nicht länger an Vergangenes zu denken. Als sie das leise Klopfen an der Tür hörte, bezog sie in der Mitte des Zimmers Stellung, sodass ihr Gast sie sah, sobald er den Raum betrat. Und sie würde ihn sehen und den Abend dementsprechend planen.
Mit Hilfe der Kunst öffnete sie die Tür, bevor er den Knauf drehen konnte, und ließ ihre Verführungsfäden wie exotisches Parfum um sich herum ausströmen. Lächelnd breitete sie die Arme aus, als sich die Tür hinter ihm schloss.
Er kam auf sie zugestürzt, jede Körperpore atmete Verlangen, und das graue Juwel an seinem Hals erstrahlte in diesem Feuer. Sie legte ihm die Hände auf die Brust, um ihn aufzuhalten, und streichelte ihn kurz mit der Rechten. Sein Atem ging schwer. Seine Hände öffneten und schlossen sich, doch er berührte sie nicht.
Zufrieden glitt Surreal zu dem kleinen Esstisch an der Glastür und sandte einen Gedanken in Richtung Küche. Einen Augenblick später erschienen zwei gekühlte Gläser
und eine Flasche Wein. Sie schenkte ein, reichte ihm ein Glas und erhob das ihre, um mit ihm anzustoßen. »Philip.«
»Surreal.« Seine Stimme klang heiser und schmerzvoll.
Sie nippte an ihrem Wein. »Mundet dir der Wein nicht?«
Philip leerte das halbe Glas in einem Zug.
Surreal verbarg ihr Lächeln. Nach welcher Frau, die er nicht haben konnte, verzehrte er sich in Wirklichkeit? An wen dachte er, wenn er die Vorhänge zuzog und alle Lichter löschte, sodass er sich seiner Lust hingeben und gleichzeitig seinen Illusionen nachhängen konnte?
Sie sorgte dafür, dass sich das Essen lange hinzog, und ließ zu, dass er sie mit den Augen verschlang, während er von dem Wein trank und die aufgetragenen Delikatessen verspeiste. Wie jedes Mal verriet ihr seine dahinplätschernde, unklare Redeweise mehr, als er ahnte oder beabsichtigte.
Philip Alexander, ein Prinz, der graue Juwelen trug, ein attraktiver Mann mit rotblondem Haar und ehrlichen, unruhigen grauen Augen. Er war der Halbbruder von Robert Benedict, einem Mann, der in der ersten politischen Liga mitspielte, seitdem er ein Bündnis mit Hayll ... mit Kartane eingegangen war. Robert trug lediglich Gelb, doch er war der eheliche Sohn, dem Besitz und Reichtum des Vaters zustanden. Der um ein paar Jahre jüngere Philip war nie offiziell anerkannt worden. Somit war er seinem Bruder untergeordnet. Nachdem er es leid geworden war, den dankbaren Bastard zu spielen, hatte er mit seiner Familie gebrochen und wurde der Begleiter und Gefährte von Alexandra Angelline, der Königin von Chaillot.
Über einige Generationen hinweg war es Chaillots Männern des Blutes durch schleichende kulturelle Vergiftung gelungen, die matriarchale Gesellschaftsordnung als etwas Unnatürliches hinzustellen und den Königinnen die Kontrolle über das Territorium zu entreißen, sodass Alexandra im Grunde nicht mehr als eine Galionsfigur war. Doch immerhin war sie noch die Königin von Chaillot und trug
einen Opal. Es war alles ein wenig seltsam, ja ungewöhnlich. Gerüchte besagten, sie habe weiterhin mit den
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