Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
vernahm er einen Schrei, der so voller Seelenqual war, dass die Steine zu erzittern schienen. Keuchend und blind vor Tränen stolperte er auf das Netz zu. Weder wollte er umkehren noch abreisen.
Doch kurz bevor er sich auf den grauen Wind aufschwang, der ihn nach Askavi und seinem Schicksal entgegen bringen würde, flüsterte er mit einem letzten Blick auf die Burgruine: »Leb wohl, Daemon.«
Lucivar stand am Rand des Canyons in der Mitte der Khaldaron-Schlucht und wartete darauf, dass die Sonne weit genug aufging, um den Canyon unter ihm zu erleuchten.
Es war nur der Kunst zu verdanken, dass er überhaupt noch stehen oder seine hoffnungslos verschmutzten und zerfetzten Flügel benutzen konnte, die in den Salzminen vom Schimmel zerfressen worden waren.
Ungeduldig wartete er auf den Sonnenaufgang, achtete gleichzeitig aber auch auf die kleinen dunklen Gestalten, die auf ihn zuflogen – eyrische Krieger, die ihn töten wollten.
Er blickte hinab in die Khaldaron-Schlucht, um die Schatten und die Sichtverhältnisse abzuschätzen. Nicht gut. Es war töricht, sich in das gefährliche Gemisch aus Wind und dunkleren Netzwinden zu stürzen, obwohl er die zerklüfteten Canyonwände nicht von den Schatten unterscheiden oder die unberechenbaren Luftströmungen beurteilen konnte. Außerdem funktionierten seine Flügel kaum. Es war der reinste Selbstmord.
Und aus eben diesem Grund war er hergekommen.
Die kleinen dunklen Figuren, die auf ihn zuflogen, wurden größer und kamen immer näher.
Südlich von ihm berührten die ersten Sonnenstrahlen eine Felsformation, die unter dem Namen Schlafende Drachen bekannt war. Ein Fels war gen Norden, der andere gen Süden gewandt. Dort endete die Khaldaron-Schlucht, und die Rätsel
begannen, denn niemand, der eine jener gähnenden, höhlenartigen Öffnungen inmitten der Drachenfelsen passiert hatte, war je zurückgekehrt.
Etliche Meilen südlich der Schlafenden Drachen schien die Sonne auf den Schwarzen Berg, den Schwarzen Askavi, wo Hexe , seine junge, lange erträumte Königin leben würde, wenn sie Daemon Sadi niemals begegnet wäre.
Die eyrischen Krieger waren mittlerweile so nahe an ihn herangekommen, dass er ihre Drohungen und Flüche hören konnte.
Mit einem Lächeln breitete er die Flügel aus, hob eine Faust gen Himmel und gab einen eyrischen Schlachtruf von sich, der alles andere um ihn her zum Schweigen brachte.
Dann stürzte er sich in die Khaldaron-Schlucht.
Es war genauso berauschend und schrecklich, wie er es sich ausgemalt hatte.
Selbst mithilfe der Kunst gewährten ihm seine zerfetzten Flügel nicht die nötige Balance. Bevor er das Gleichgewicht wiederfinden konnte, schleuderten ihn die Luftturbulenzen, die in dem Canyon herrschten, gegen eine Seitenwand, sodass er sich mehrere Rippen und die rechte Schulter brach. Mit einem trotzigen Aufschrei stieß er sich von der Felswand ab und ließ die Kraft von Schwarzgrau in seinen Körper fließen, während er erneut in die wild tosenden Naturgewalten in der Mitte der Schlucht eintauchte.
In dem Augenblick, als die anderen Eyrier ihm in die Schlucht folgten, sprang er auf den roten Faden auf und stürzte kopfüber auf die Schlafenden Drachen zu.
Statt sämtliche Winde zu benutzen, die ihm aufgrund seiner Juwelenkaste zur Verfügung standen, und von einem zum anderen überzuwechseln, um sich möglichst in der Mitte des Canyons zu halten, blieb er bei Rot und folgte dem Wind durch schmale Felsspalten. Oft musste er die Flügel eng an den Körper anlegen, um durch verwitterte Löcher zu passen, die ihm die Haut aufschürften, als er durch sie hindurchschoss.
Sein rechter Fuß stand in einem unnatürlichen Winkel von
seinem zerfetzten Knöchel ab. Die äußere Hälfte seines linken Flügels hing nutzlos von seinem Körper herab und brach ganz, als ein Windstoß ihn gegen einen Felsen warf. Da Lucivar seine Flügel dazu zwang, etwas zu tun, wozu sie längst nicht mehr in der Lage waren, war seine Rückenmuskulatur völlig überanstrengt. Aus einer tiefen Schnittwunde in seinem Bauch quoll unterhalb des breiten Ledergürtels Blut hervor.
Er schüttelte den Kopf, um den Schweiß aus den Augen und eine klare Sicht zu bekommen, und stieß ein triumphierendes Brüllen aus, während er auf den großen Schlund mit den spitzen Felsen zusteuerte, die wie versteinerte Fänge aussahen.
Ein letzter Windstoß drückte ihn nach unten, als er durch das Maul des Drachens schoss. An einem der ›Fänge‹ schlitzte er sich das Bein
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