Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
von der Hüfte bis zum Knie auf.
Er tauchte in den Nebelwirbel ein, fest entschlossen, die andere Seite zu erreichen, bevor die Kraft seiner Juwelen erschöpft war.
Da wurde er einer Bewegung gewahr. Ein überraschtes Gesicht. Flügel.
»Lucivar!«
Er beschleunigte, so weit es seine versiegenden Kräfte zuließen, da er auf keinen Fall wollte, dass seine Verfolger aufholten.
»Lucivar!«
Bald musst der andere Schlund kommen … dort! Aber …
Es gab zwei Schächte. Aus dem linken strömte Dämmerung, während der rechte mit sanftem Morgengrauen angefüllt zu sein schien.
Im Dunkeln würde er sich besser verbergen können. Er hielt auf die Dämmerung zu.
Rascher Flügelschlag zu seiner Linken. Eine Hand packte ihn.
Er trat um sich und entzog sich dem Griff, was dazu führte, dass er auf den rechten Schacht umschwenken musste.
»Luu-ci-vaarrr!«
An den Felsnadeln vorbei flog er über den Rand des Canyons hinaus ins Freie und hielt auf den Morgenhimmel zu. Seine nutzlosen Flügel schlugen nur noch aus sturem Stolz.
Und da lag Askavi. Es sah aus, wie es schon vor langer Zeit ausgesehen haben mochte. Das schlammige, kraftlos vor sich hin plätschernde Gewässer, über das er eben noch geflogen war, war nun ein tiefer, klarer Fluss. Frühlingsblumen überwucherten den kahlen Fels, und jenseits der Schlucht brachte die Sonne kleine Seen und Bäche, die sich durch die Landschaft schlängelten, zum Glitzern.
Eine Woge des Schmerzes durchflutete ihn. Blut vermischte sich mit Tränen.
Askavi. Seine Heimat. Endlich wieder zu Hause.
Er schlug ein letztes Mal mit den Flügeln, bevor er seinen Körper langsam und qualvoll und mit geschmeidiger Anmut nach hinten bog, die Schwingen anlegte und sich auf das tiefe, klare Gewässer tief unter sich hinabstürzen ließ.
2 Das Verzerrte Reich
D er Wind versuchte, ihn von der winzigen Insel zu reißen, die sein einziger Anker in diesem unendlichen Meer war, in dem es keinerlei Vergebung gab. Die Wellen schlugen über ihm zusammen und durchtränkten ihn mit Blut. So viel Blut.
Du bist mein Instrument.
Worte lügen. Blut nicht.
Die Worte umkreisten ihn wie Haifische, die immer näher kamen, um sich ein weiteres Stück seiner Seele einzuverleiben.
Beinahe wäre er an einem Mund voll blutigen Schaums erstickt, und er grub keuchend die Finger in den Fels, der auf einmal unter ihnen nachgab. Er stieß einen Schrei aus, als sich das Gestein unter seinen Händen in geschundenes, von violett-schwarzen Blutergüssen übersätes Fleisch verwandelte.
Haylls Hure.
Neiiiiin!
*Ich habe sie geliebt! *, rief er. *Ich liebe sie! Ich wollte ihr nie wehtun.*
Du bist mein Instrument.
Worte lügen. Blut nicht.
Haylls Hure.
Vergnügt sprangen die Worte über die Insel und schnitten ihm mit jedem Mal tiefer ins Fleisch.
Schmerz. Immer mehr Qualen. Immer mehr Leiden. Immer mehr Schmerz, bis es überhaupt keinen Schmerz mehr gab.
Oder vielleicht gab es auch nur niemanden mehr, der den Schmerz hätte empfinden können.
3 Terreille
S urreal starrte auf das verdreckte, zitternde Wrack hinab, das einst der gefährlichste und schönste Mann im ganzen Reich gewesen war. Sie zog ihn in die Wohnung, bevor er zurückweichen konnte, ließ jeden Riegel an der Tür einrasten und verschloss sie zur Sicherheit auch noch mit Grau. Nach kurzem Überlegen belegte sie sämtliche Fenster mit einem grauen Schutzzauber, um die Wahrscheinlichkeit einer aufgeschlitzten Pulsader oder eines Sprungs aus dem fünften Stock zu verringern.
Dann betrachtete sie ihn eingehend und fragte sich unwillkürlich, ob ein Selbstmord seinem derzeitigen Zustand nicht vorzuziehen wäre. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er wahnsinnig gewesen. Nun sah er aus, als hätte man ihn noch dazu aufgeschlitzt und ausbluten lassen.
»Daemon?« Langsam ging sie auf ihn zu.
Er zitterte unkontrolliert. Seine tief umschatteten Augen, die nichts als Schmerz enthielten, füllten sich mit Tränen. »Er ist tot.«
Surreal ließ sich auf dem Sofa nieder und zog ihn am Arm, bis er sich neben sie gesetzt hatte. »Wer ist tot?« Wer war wichtig genug, um eine derartige Reaktion hervorzurufen?
»Lucivar. Lucivar ist tot !« Er vergrub den Kopf in ihrem Schoß und weinte wie ein verzweifeltes Kind.
Während Surreal Daemon über das verfilzte Haar strich, fiel ihr nicht ein einziges Wort des Trostes ein. Lucivar hatte ihm viel bedeutet, und sein Tod lastete Daemon schwer auf dem Herzen. Doch der bloße Gedanke, ihm ihr Beileid
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