Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
Doch Daemon hatte ihm gegenüber einmal darauf bestanden, dass Burg SaDiablo in Terreille bis vor etwa 1600 Jahren unversehrt gewesen sei. Damals habe sich etwas ereignet – kein Angriff, sondern etwas anderes –, das die Bewahrungszauber, die über 50 000 Jahre gewirkt hätten, aufgehoben habe, sodass der Verfall des Gebäudes einsetzen konnte.
Während Lucivar vorsichtig durch die zerstörten Überreste der Burg schritt, dachte er, dass Daemon vielleicht Recht gehabt hatte. Über dem Ort lag eine tiefe Leere, als habe man ihn vorsätzlich ausgeblutet. Die Steine fühlten sich tot an. Nein, nicht tot. Verdorrt. Jedes Mal, wenn er auf dem Weg zu einem der Innenhöfe einen Felsbrocken berührte, hatte er das Gefühl, als versuche der Stein, ihm sämtliche Energien auszusaugen.
Er folgte dem Geruch von brennendem Holz und schüttelte das Unbehagen ab, das ihn beschlichen hatte. Schließlich war er nicht hier, um über Geister nachzugrübeln. Schon bald würde er selbst einer sein.
Mit einem grimmigen Grinsen fletschte er die Zähne. Er zückte das Kampfschwert und trat in den Hof, hielt sich jedoch vom Schein des Feuers fern.
»Hallo, Bastard.«
Daemon blickte langsam von den Flammen auf und brauchte ebenso lange, um zu bestimmen, woher das Geräusch gekommen war. Als es ihm endlich gelang, erhellte ein sanftes, aber erschöpftes Lächeln seine Züge.
»Hallo, Mistkerl. Bist du gekommen, um mich umzubringen? « Daemons Stimme klang rau, als habe er schon lange nicht mehr gesprochen.
In Lucivars Brust rang Sorge mit Wut, bis sein Zorn die Oberhand gewann. Die Andersartigkeit von Daemons mentaler Signatur machte ihm zu schaffen. »Ja.«
Mit einem Nicken stand Daemon auf und zog sich das zerrissene Jackett aus.
Lucivars Augen verengten sich zu Schlitzen, als Daemon sich das Hemd aufknöpfte und seine Brust entblößte, bevor er an eine Stelle trat, von wo aus er einem Gegner im Schein des Feuers die beste Angriffsfläche bot. Etwas stimmte nicht. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Daemon wusste genug über das Überleben in der Wildnis – beim Feuer der Hölle, dafür hatte Lucivar höchstpersönlich gesorgt –, um nicht derart zu verwahrlosen. Lucivar betrachtete die schmutzige, zerlumpte Kleidung, Daemons halb verhungerten Leib,
der im Schein des Feuers zitterte, und den beinahe hoffnungsvollen Blick in seinen verletzten, erschöpften Augen. Der Eyrier knirschte mit den Zähnen. Die einzige andere Person, der er je begegnete war, die sich ebenso wenig um ihr körperliches Wohlergehen sorgte, war Tersa.
Vielleicht klang Daemons Stimme nicht deshalb rau, weil er schon so lange nicht mehr gesprochen hatte, sondern er war heiser, weil er sich selbst jede Nacht aus dem Schlaf schrie.
»Du hast dich darin verirrt, nicht wahr?«, erkundigte Lucivar sich leise. »Du bist im Verzerrten Reich gefangen.«
Daemon erbebte. »Lucivar, bitte. Du hast geschworen, mich umzubringen.«
In Lucivars Augen trat ein Glitzern. »Kannst du sie unter dir spüren, Daemon? Kannst du das Blut an dir spüren, während du immer weiter in sie eindringst und sie entzweireißt? « Er trat einen Schritt vor. »Kannst du es spüren?«
Gequält zuckte Daemon zusammen. »Ich habe nicht …« Er hob eine zitternde Hand und fuhr sich mit den Fingern durch das dichte, zerzauste Haar. »Da ist so viel Blut. Es geht nie weg. Die Worte gehen nie weg. Lucivar, bitte!«
Nachdem Lucivar sich vergewissert hatte, dass er Daemons Aufmerksamkeit hatte, trat er zurück und ließ das Schwert zurück in die Scheide gleiten. »Der Tod wäre eine Wohltat für dich, die du nicht verdient hast. Du schuldest ihr jeden Tropfen Schmerz, den du den Rest deines Lebens empfinden wirst, Daemon, und ich wünsche dir ein sehr langes Leben.«
Daemon wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und hinterließ dabei einen Schmutzfleck auf seiner Wange. »Vielleicht kannst du mich beim nächsten Mal …«
»Ich sterbe«, fuhr Lucivar ihn an. »Es wird kein nächstes Mal geben.«
Ein Funke Verständnis flackerte in Daemons Augen auf.
Etwas schien Lucivars Kehle zuzuschnüren. In seinen Augen brannten Tränen. Es würde keine Versöhnung geben, kein Verständnis, keine Vergebung. Stattdessen lediglich diese Bitterkeit, die über das Fleisch hinaus andauern würde.
Lucivar bediente sich der Kunst, um sein verletztes Bein zu stützen, und hinkte so schnell wie möglich aus dem Hof. Als er an den Burgtrümmern vorbei auf die Überreste des Landenetzes zuging,
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