Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
zwölfjähriges Mädchen. Was hast du denn von ihm erwartet?«
»Im Abgrund war ich nicht zwölf.«
Lucivar sah sie mit zusammengekniffenen Augen an und fragte sich, was sie damit meinte.
»Er hat mich angelogen«, flüsterte sie.
»Nein, das hat er nicht. Er meinte alles, was er sagte. Wenn du achtzehn gewesen wärst, ihm den Ring der Hingabe dargeboten und ihn damit zu deinem Gefährten gemacht hättest, hättest du das schnell genug herausgefunden.« Lucivar starrte auf den Garten, den er nur schemenhaft wahrnahm. Er räusperte sich. »Saetan liebt dich, Katze. Und du liebst ihn. Der Höllenfürst tat, was er tun musste, um seine Königin zu retten. Er tat, was jeder andere Kriegerprinz auch getan hätte. Wenn du ihm nicht vergeben kannst, wie sollte es dir dann je gelingen, mir zu verzeihen?«
»Oh, Lucivar!« Schluchzend schlang Jaenelle die Arme um seinen Hals.
Lucivar hielt sie, streichelte sie und fand Trost in der Art und Weise, wie sie ihn fest umklammert hielt. Seine stummen
Tränen benetzten ihr Haar. Er weinte um sie, weil die Wunden ihrer Seele frisch geöffnet worden waren; um sich selbst, weil er vielleicht etwas unendlich Wertvolles schon so bald wieder verlor, nachdem er es endlich wiedergefunden hatte; um Saetan, der vielleicht noch mehr verloren hatte. Vor allem aber um Daemon. Um Daemon am allermeisten.
Es dämmerte beinahe, als Jaenelle sich sanft seinen Armen entzog. »Ich muss mit jemandem sprechen. Ich komme später wieder zurück.«
Besorgt musterte Lucivar ihre herabhängenden Schultern und ihr blasses Gesicht. »Wohin …« Vorsicht kämpfte mit seinen Instinkten. Er zauderte.
Um Jaenelles Lippen zuckte ein verständnisvolles Lächeln. »Ich begebe mich nicht in Gefahr, sondern bleibe hier in Kaeleer. Und, nein, Prinz Yaslana, es ist nicht riskant. Ich werde lediglich einen Freund besuchen.«
Er ließ sie ziehen, da ihm nichts anderes übrig blieb.
Saetan starrte ins Leere und versuchte den Schmerz und die Erinnerungen in Schach zu halten. Wenn er alles über sich hereinbrechen ließe … konnte er sich nicht sicher sein, ob er es überleben, ja ob er es überhaupt versuchen würde.
»Saetan?« Jaenelle befand sich nahe der offenen Tür seines Arbeitszimmers.
»Lady.« Protokoll. Der Höflichkeitstitel, der zu benutzen war, wenn sich ein Kriegerprinz an eine Königin gleichen oder dunkleren Ranges wandte. Er hatte das Privileg eingebüßt, sie auf irgendeine andere Art anzusprechen.
Als sie das Zimmer betrat, kam er hinter dem Schreibtisch hervor. Er konnte nicht sitzen, während sie stand, und es war ihm unmöglich, ihr einen Platz anzubieten, da die übrigen Möbelstücke in seinem Arbeitszimmer zerstört worden waren, und er Beale nicht gestattet hatte, sie wegzuräumen.
Zögernd ging Jaenelle mit nervös ineinander verschlungenen Händen auf ihn zu, die Unterlippe zwischen den Zähnen. Sie sah ihn nicht an.
»Ich habe mit Lorn gesprochen.« Ihre Stimme zitterte. Sie
blinzelte ununterbrochen. »Er stimmt dir zu, dass ich mich nicht nach Terreille begeben sollte – mit Ausnahme des Bergfrieds. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich einen Schatten meiner selbst erschaffe, der mit den Leuten in Kontakt treten und auf diese Weise nach Daemon suchen kann, während mein Körper im Bergfried in Sicherheit bleibt. Ich werde jeden Monat nur drei Tage lang nach ihm suchen können, weil der Schatten mich körperlich sehr beanspruchen wird. Aber ich kenne jemanden, der mir bestimmt bei der Suche helfen wird.«
»Du musst tun, was du für richtig hältst«, sagte er möglichst neutral.
Sie blickte ihn an, die schönen, uralten, gehetzten Augen voller Tränen. »S-Saetan?«
Bei all ihrer Stärke und Weisheit war sie noch so jung.
Er breitete die Arme aus und öffnete ihr sein Herz.
Heftig zitternd hing sie an ihm.
Sie war der schmerzensreichste, wunderbarste Tanz seines Lebens.
»Saetan, ich …«
Er legte ihr einen Finger an die Lippen. »Nein, Hexenkind«, meinte er mit leisem Bedauern. »So funktioniert Vergebung nicht. Du magst mir vielleicht vergeben wollen, aber es wird dir noch nicht gelingen. Jemandem zu vergeben kann Wochen, Monate, gar Jahre dauern. Manchmal dauert es ein ganzes Leben lang. Bis Daemon wiederhergestellt ist, können wir nur versuchen, freundlich und verständnisvoll miteinander umzugehen und jeden Tag zu nehmen, wie er kommt.« Er genoss das Gefühl, sie fest an sich zu drücken, da er nicht wissen konnte, wann und ob er sie je wieder auf diese
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