Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
indem er mit einer ausholenden Bewegung auf ihr langes schwarzes Kleid, das grob gewobene, smaragdgrüne Schultertuch und ihr elegant frisiertes, staubig rotes Haar deutete.
»Zu dumm, dass diese Harpyie sich nicht dem Anlass entsprechend gekleidet hat«, erwiderte Cassandra säuerlich. Sie rümpfte die Nase. »Sie hätte zumindest etwas um den Hals tragen können.«
»Und du hättest es dir verkneifen können, ihr ein hochgeschlossenes Kleid anzubieten«, entgegnete Saetan scharf. Eine weitere Spitze schluckte er allerdings hinunter. Titian war nicht auf seine Verteidigung angewiesen, besonders nicht nach ihrer vorigen Bemerkung über die delikaten Empfindsamkeiten aristokratischer Hexen.
Er beobachtete, wie in Riada ein Licht nach dem anderen erlosch.
Cassandra atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder aus ihren Lungen entweichen. »So sollte es nicht sein«, sagte sie leise. »Schwarz war nie dazu bestimmt, Geburtsjuwel zu sein. Ich wurde Hüterin, weil ich dachte, die nächste Hexe
könnte eine Freundin brauchen, die ihr helfen würde zu begreifen, was aus ihr wird, sobald sie der Dunkelheit ihr Opfer darbringt. Doch was Jaenelle zugestoßen ist, hat sie derart verändert, dass sie niemals normal sein wird.«
» Normal? Was genau meinst du mit normal, Lady?«
Sie warf einen angestrengten Blick in die Zimmerecke, in der Andulvar, Prothvar, Mephis und Geoffrey darum bemüht waren, Titian in ihr Gespräch einzubeziehen und dabei dennoch respektvoll Abstand zu bewahren.
»Jaenelle hat soeben ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert. Statt eines ausgelassenen Festes mit lauter gleichaltrigen Freunden, hat sie den Abend mit Dämonen, Hütern und einer … Harpyie verbracht. Würdest du das allen Ernstes als normal bezeichnen?«
»Diese Unterhaltung führe ich nicht zum ersten Mal«, entgegnete Saetan verdrießlich. »Und meine Antwort ist immer noch dieselbe: Für sie ist es normal.«
Cassandra betrachtete ihn einen Augenblick lang, bevor sie resigniert sagte: »Es sollte mich nicht überraschen, dass du es so siehst.«
Er sah das Zimmer durch einen roten Dunstschleier, bevor er seine Wut wieder unter Kontrolle gebracht hatte. »Was meinst du damit?«
»Du wurdest noch zu Lebzeiten Höllenfürst. Folglich nimmst du keinen Anstoß daran, dass ihre Spielgefährten kindelîn tôt sind, und ihr eine Harpyie den richtigen Umgang mit Männern beibringt.«
Saetans Atem kam pfeifend zwischen seinen Zähnen hervor. »Als du ihr Kommen vorhersahst, hast du sie die Tochter meiner Seele genannt. Aber das waren nur leere Worte, wie? Das hast du lediglich gesagt, um sicherzustellen, dass ich Hüter werden und dir meine Macht zur Verfügung stehen würde, um deinen Zögling zu beschützen: Die junge Hexe, die dir zu Füßen sitzen und ehrfürchtig die Aufmerksamkeit der Hexe mit den schwarzen Juwelen genießen würde. Nur leider kam es ganz anders. Diejenige, die kam, ist wirklich die Tochter meiner Seele, und sie empfindet niemandem
gegenüber Ehrfurcht und sitzt auch niemandem zu Füßen.«
»Sie mag niemandem gegenüber Ehrfurcht empfinden«, antwortete Cassandra kalt, »aber sie hat auch niemanden .« Ihre Stimme nahm ein weicheres Timbre an. »Und darum bemitleide ich sie.«
Sie hat mich!
Cassandras kurzer, scharfer Blick schnitt ihm mitten ins Herz.
Jaenelle hatte ihn. Den Prinzen der Dunkelheit. Den Höllenfürsten. Und genau das war der Hauptgrund, weswegen Cassandra das Mädchen bemitleidete.
»Wir sollten uns zu den anderen gesellen«, presste Saetan hervor und bot ihr seinen Arm an. Trotz des Zorns, der in ihm gärte, brachte er es nicht fertig, ihr den Rücken zu kehren.
Erst wollte Cassandra seine höfliche Geste ablehnen, doch dann bemerkte sie Andulvars und Titians kalten Blick.
»Draca möchte mit uns sprechen«, knurrte Andulvar, als Saetan und Cassandra sich der Gruppe näherten. Auf der Stelle trat er ein paar Schritte zurück, um die Flügel ausbreiten und eine Kampfhaltung einnehmen zu können.
Einen Augenblick beobachtete Saetan ihn, bevor er seine eigenen, nicht zu unterschätzenden Abwehrmechanismen verstärkte. In vielerlei Hinsicht waren er und Andulvar verschieden, doch er hatte die Instinkte des Freundes schon immer zu respektieren gewusst.
Langsam und gelassen betrat Draca den Raum. Wie gewöhnlich waren ihre Hände in den langen Ärmeln ihres Gewandes verborgen. Sie wartete, bis alle saßen und ihr die gesamte Aufmerksamkeit zuteil wurde, bevor ihr stechender, reptilienhafter
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