Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
die niedrige Steinmauer, die den Besitz umgab. »Luthvian«, meinte er dann müde, »der Mann, der eine Hexe durch ihre Jungfrauennacht geleitet, ist nicht dazu bestimmt, ihr Geliebter zu werden. Das passiert nur, wenn schon zuvor eine starke Verbindung zwischen den beiden bestand, wenn sie bereits in jeglicher Hinsicht ein Liebespaar sind und nur noch auf die körperliche Vereinigung warten. In vielen Fällen …«
»Du brauchst nicht die Regeln herunterzubeten, Höllenfürst«, fuhr Luthvian ihn an.
»… wird er zu einem geschätzten Freund oder auch bloß zu einer schwachen Erinnerung, sobald er sich von ihrem Nachtlager erhebt. Er empfindet etwas für sie – das muss er auch –, aber es kann ein großer Unterschied dazwischen bestehen, ob man jemanden beschützen möchte oder ob man jemanden liebt .« Er blickte über die Schulter. »Ich hegte Gefühle für dich, Luthvian. Ich gab dir, was in meiner Macht stand. Es war einfach nicht genug.«
Luthvian schlang die Arme um sich und hätte zu gerne gewusst, ob die Bitterkeit und Enttäuschung, die sie empfand, je vergehen würden. »Nein, es war nicht genug.«
»Du hättest dir nach mir einen anderen Mann suchen können. Du hättest es tun sollen. Das sagte ich dir; ich habe dich sogar dazu ermutigt.«
Luthvian starrte ihn an. Leide, verflucht noch mal, leide so sehr, wie ich es getan habe. »Und was meinst du, wie fasziniert und von mir angezogen diese Männer wohl waren, sobald sie feststellen mussten, dass mein Sohn vom Höllenfürsten höchstpersönlich gezeugt worden war?«
Diese Bemerkung traf ihn, doch trotz des Schmerzes und des Kummers, die sie in seinen Augen sah, gelang es ihr nicht, sich besser zu fühlen.
»Ich hätte ihn zu mir genommen und ihn aufgezogen. Auch das wusstest du.«
Die alte Wut, die alten Unsicherheiten kochten in ihr hoch. »Ihn aufgezogen? Zu welchem Zweck? Als Futter? Um einen ständigen Vorrat an starkem, frischem Blut zu haben? Als du herausfandest, dass er halb eyrisch war, wolltest du ihn umbringen! «
Saetans Augen funkelten. »Du wollest ihm die Flügel abschneiden. «
»Um ihm die Chance auf ein anständiges Leben zu geben! Ohne Flügel wäre er als Dhemlaner durchgegangen, hätte einem deiner Anwesen vorstehen können. Man hätte ihm Respekt entgegengebracht.«
»Glaubst du wirklich, das wäre ein faires Tauschgeschäft gewesen? Der Ehrbarkeit wegen eine Lüge zu leben, ohne
dass er je von seiner eyrischen Abstammung erfahren oder den Hunger in seiner Seele verstanden hätte, wenn er den Wind im Gesicht spürt? All jene Sehnsüchte in seinem Herzen, die er nicht verstehen könnte – bis zu dem Tag, an dem er die Flügel an seinem erstgeborenen Kind gesehen hätte? Oder hattest du vor, jede einzelne Generation zu beschneiden? «
»Die Flügel hätten sich als Atavismus erklären lassen, als genetische Anomalie.«
Saetan wurde sehr, sehr still. »Ich sage dir erneut, was ich dir bereits bei seiner Geburt sagte. Tief in seiner Seele ist er Eyrier, und dieser Umstand musste vor allem anderen respektiert werden. Wenn du ihm die Flügel abgeschnitten hättest, hätte ich ihm noch in der Wiege die Kehle durchgeschnitten, das ist wahr. Nicht, weil ich nicht mit diesem Kind gerechnet hatte – und das hatte ich nicht, da du derart bedacht darauf warst, mir nichts davon zu erzählen –, sondern weil er im Laufe seines Lebens zu sehr gelitten hätte.«
Luthvians Zorn war mittlerweile scharf wie ein Stilett. »Und du meinst, so hat er nicht gelitten? Du weißt nicht viel von Lucivar, Saetan.«
»Und warum wuchs er nicht unter meinen Fittichen auf, Luthvian?«, erwiderte er mit trügerischer Sanftheit. »Wer war dafür verantwortlich?«
Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Die Erinnerungen, die Seelenqualen, die Schuldgefühle. »Du hast mich nicht geliebt und ihn ebenso wenig.«
»Das stimmt nur zur Hälfte, meine Teure.«
Sie versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken und starrte zur Decke empor.
Seufzend schüttelte Saetan den Kopf. »Selbst nach all den Jahren ist es sinnlos, mir dir reden zu wollen. Es ist besser, wenn ich gehe.«
Luthvian wischte sich eine Träne ab, die ihr trotz aller Selbstbeherrschung die Wange hinablief. »Du hast nicht gesagt, weshalb du hergekommen bist.« Zum ersten Mal sah sie ihn an, ohne dass die Vergangenheit die Gegenwart verschwimmen
ließ. Er sah gealtert aus, als würde er von etwas niedergedrückt.
»Es wäre wahrscheinlich für uns alle zu schwierig.«
Sie wartete. Sein
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