Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
Tränen kamen erst langsam und leise, bevor sich seine Trauer in gewaltsamen Schluchzern Bahn brach.
Der bärbeißige Wächter hatte die Prügelstrafe vollzogen. Diesmal war nicht Lucivars Rücken an der Reihe gewesen, sondern seine Beine; und man hatte keine scharf einschneidende Peitsche benützt, sondern ein dickes Lederband, das unnachgiebig auf seine angespannten Muskeln niedergesaust war. Der Wächter hatte in einem langsamen Rhythmus sehr sorgfältig gearbeitet und darauf geachtet, keinen Zentimeter von Lucivars Fleisch auszulassen. Die Beine hinauf und hinunter, hinauf und hinunter. Abgesehen von seinem Atem, der zischend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgekommen war, hatte Lucivar kein Geräusch von sich gegeben. Als es endlich vorüber war, hatte man ihn emporgerissen – ohne dass seine verletzten Füße ihn hätten tragen können – und ihm Zuultahs neuestes Spielzeug angelegt: einen metallenen Keuschheitsgürtel. Um die Taille saß der Gürtel eng, doch die Metallschlaufe zwischen seinen Beinen war nicht schmal genug, um Unbehagen zu verursachen. Er hatte den Sinn des Gestells nicht verstanden, bis man ihn gezwungen hatte, zu seiner Zelle zu gehen.
Danach hatte es nur noch Schmerz gegeben, denn als er seine Zelle erreichte, begriff er nur zu gut, wie der Keuschheitsgürtel funktionieren sollte: An der Rückwand der Zelle befand sich eine neu angebrachte, grobgliedrige Kette. Die weite Schlaufe zwischen seinen Beinen wurde durch einen Schlitz in dem Gürtel gezogen, der seine Taille umschloss. Immer noch blieb seinem Geschlecht ausreichend Platz. Doch dann wurde die Kette, die aus der Wand kam, an der Schlaufe befestigt. Die Kette war so kurz, dass er zu stehen gezwungen war, und sobald seine Beine nachgäben, würde es nicht seine Taille sein, die sein gesamtes Körpergewicht zu tragen hatte …
Ohne Zweifel ließ sich Zuultah in diesem Augenblick einölen und massieren, während sie auf seine Schmerzensschreie wartete.
Doch das war nicht Grund genug zu weinen.
Auf seinen Flügeln hatte sich Schimmel gebildet. Wenn er sie nicht von einer Heilerin behandeln ließe, würde sich der
Belag immer weiter ausbreiten, bis seine Schwingen nur noch schmierige Hautlappen waren, die von seinem Knochengerüst hingen. In den Salzminen konnte er seine Flügel nicht ausbreiten, ohne regelmäßig ausgepeitscht zu werden, und neuerdings wurden ihm des Nachts die Hände auf den Rücken gefesselt, sodass seine Flügel eng an seinem mit Salzstaub bedeckten, verschwitzten Körper anlagen.
Einst hatte er Daemon gesagt, dass er lieber seine Hoden verlöre als seine Flügel, und es war sein voller Ernst gewesen.
Auch das war nicht Grund genug zu weinen.
Seit über einem Jahr hatte er kein Sonnenlicht mehr gesehen. Abgesehen von den kurzen, kostbaren Minuten jeden Tag, wenn er von seiner Zelle zu den Minen und wieder zurück geführt wurde, hatte er keine saubere Luft geatmet oder eine Brise auf seiner Haut gespürt. Seine Welt bestand nur noch aus zwei dunklen, stinkenden Löchern – und einem überdachten Innenhof, in dem er regelmäßig auf dem steinernen Boden ausgestreckt ausgepeitscht wurde.
Das war noch lange nicht Grund genug zu weinen.
Er war schon zuvor bestraft, verprügelt, ausgepeitscht und in dunkle Zellen gesperrt worden. Man hatte ihn schon zuvor als Sklaven an grausame, perverse Hexen verkauft. Er hatte sich immer mit der ganzen ihm eigenen Wildheit zur Wehr gesetzt und war zu einer derart zerstörerischen Kraft geworden, dass sie ihn schließlich nach Askavi zurückschicken mussten, um ihr eigenes erbärmliches Leben zu retten.
Er hatte nicht ein einziges Mal versucht, aus Pruul zu entkommen, oder seinem feurigen Temperament freien Lauf gelassen, um die hiesigen Hexen zu zerreißen und zu vernichten. Vor nicht allzu langer Zeit wären die Mauern längst mit dem Blut von Zuultah und ihren Wachen getüncht gewesen, und er hätte inmitten der Trümmer gestanden und die Nacht mit seinem eyrischen Siegesschrei angefüllt.
Doch das war zu einer Zeit, als er noch an den Mythos glaubte, den Traum. Als er noch davon überzeugt war, dass er eines Tages der Königin begegnen würde, die ihn annehmen,
ihn verstehen und schätzen würde. Sie zu treffen war sein Traum gewesen, eine unendlich süße, nie verdorrende Blüte in seiner Seele. Die Herrin des Schwarzen Bergs. Die Königin des Schwarzen Askavi. Hexe .
Dann war der Traum Fleisch geworden – und Daemon hatte sie getötet.
Das war Grund genug
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