Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
erstanden hatte, stieg ein unbehagliches Gefühl in ihr empor.
Etwas an seinem teilnahmslosen Verhalten stimmte nicht. Ganz und gar nicht. Sie griff hinter sich und öffnete die Tür einen Spaltbreit, um sich im Ernstfall nicht mit Schlössern aufhalten zu müssen.
»Sadi?«
Endlich wandte er sich um. In seinen goldenen Augen lag kein Funke des Wiedererkennens, dafür aber etwas anderes, das ihr vertraut vorkam. Wenn sie sich nur daran erinnern könnte, wo sie diesen Blick schon einmal gesehen hatte.
»Daemon?«
Er starrte sie immer noch an, als versuche er mühsam, sich zu entsinnen. Dann hellte sich seine Miene auf. »Die kleine Surreal!« Seine Stimme – jene schöne, tiefe, verführerische Stimme – klang heiser und eingerostet.
Die kleine Surreal?
»Du bist nicht alleine hier, oder?«, wollte Daemon beklommen wissen.
Auf dem Weg durch das Zimmer meinte sie scharf: »Natürlich bin ich alleine hier. Wer sonst sollte da sein?«
»Wo ist deine Mutter?«
Surreal blieb wie angewurzelt stehen. »Meine Mutter?«
»Du bist zu jung, um ganz allein hier zu sein.«
Titian war seit Jahrhunderten tot. Das wusste er. Es war etliche Jahrhunderte her, dass er und Tersa …
Tersas Augen. Augen, die sich anstrengen mussten, um die grauen Schemen der Wirklichkeit durch den Nebel des Verzerrten Reiches wahrnehmen zu können.
Mutter der Nacht, was war mit ihm geschehen?
Daemon schob sich in Richtung Tür, wobei er deutlich Abstand von Surreal hielt. »Ich kann nicht hier bleiben. Nicht ohne deine Mutter. Ich werde nicht … kann nicht …«
»Daemon, warte!« Surreal sprang zwischen ihn und die Tür. Seine Augen füllten sich mit Panik. »Mutter musste ein paar Tage fort mit … mit Tersa. Ich … ich würde mich sicherer fühlen, wenn du bei mir bleiben würdest.«
Daemon erstarrte. »Hat jemand versucht, dir etwas zuleide zu tun, Surreal?«
Beim Feuer der Hölle, nicht dieser Tonfall! Nicht, wenn jener Krieger von der Straße jeden Moment mit dem Korb die Treppe heraufkommen konnte.
»Nein«, versicherte sie in der Hoffnung, jung, aber überzeugend zu klingen. »Aber du und Tersa seid ja fast unsere Familie, sonst haben wir niemanden. Und ich fühle mich … einsam.«
Daemon blickte zu Boden.
»Außerdem«, fügte sie mit gerümpfter Nase hinzu, »brauchst du dringend ein Bad.«
Ruckartig hob er den Kopf und starrte sie mit solch offensichtlicher Hoffnung und hungriger Sehnsucht an, dass sie beinahe von ihrer Angst übermannt wurde. »Lady?«, flüsterte er und streckte eine Hand nach Surreal aus. »Lady?« Er betrachtete die Haarsträhne, die er sich um den Finger geschlungen hatte, und schüttelte den Kopf. »Schwarz. Es sollte nicht schwarz sein.«
Würde es ihm helfen, wenn sie log? War er in der Lage, den Unterschied zu erkennen? Sie schloss die Augen und war sich nicht sicher, ob sie die Qualen aushielt, die sie in seinem Innern spürte. »Daemon«, sagte sie sanft. »Ich bin Surreal.«
Er wich ein paar Schritte zurück und stimmte eine leise Totenklage an.
Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, führte sie ihn zu einem Sessel.
»Du bist also eine Freundin von ihm.«
Surreal wirbelte zur Tür herum, die Beine in Kampfstellung, das Jagdmesser wieder in der Hand.
Im Türrahmen stand der Krieger. Den Korb hatte er zu seinen Füßen abgestellt.
»Ich bin eine Freundin«, erwiderte Surreal. »Was bist du?«
»Kein Feind.« Der Krieger beäugte das Messer. »Du könntest wohl nicht das Messer verschwinden lassen?«
»Könnte ich nicht.«
Er stieß einen Seufzer aus. »Er hat mich geheilt und mir geholfen, hierher zu gelangen.«
»Möchtest du dich über die erwiesenen Dienste beschweren? «
»Beim Feuer der Hölle, nein«, fuhr der Krieger sie unwirsch an. »Bevor er anfing, erklärte er mir, er sei sich nicht sicher, ob er über ausreichend Heilkunst verfüge, um den Schaden zu beheben. Ohne Hilfe hätte ich jedoch nicht überlebt, und eine Heilerin hätte mich verpfiffen.« Er fuhr sich mit der Hand durch das kurze braune Haar. »Und selbst wenn er mich umgebracht hätte, wäre das besser gewesen, als das, was meine Lady mir angetan hätte, weil ich ihre Dienste so kurzfristig verlassen habe.« Er deutete auf Daemon, der zusammengerollt
in dem Sessel saß und immer noch leise vor sich hin sang. »Zu dem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, dass er …«
Surreal ließ das Messer verschwinden. Auf der Stelle hob der Krieger den Korb hoch, woraufhin er vor Schmerzen das Gesicht verzog und
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