Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
gerade dabei, das Fleisch auf den Tellern zu verteilen.
Surreal lächelte beifällig. »Jetzt siehst du wieder mehr nach dir selbst aus.«
»Jaenelle ist tot«, verkündete er mit ausdrucksloser Stimme.
Die Hände auf den Tisch gestützt, nahm sie die Worte in sich auf, die sie härter trafen als jeder körperliche Hieb. »Woher willst du das wissen?«
»Lucivar hat es mir gesagt.«
Wie konnte sich Lucivar in Pruul einer Sache sicher sein, die sie und Daemon nicht mit Gewissheit zu sagen vermochten? Und wen konnte man fragen? Nach jener Nacht war Cassandra nie mehr zu dem Altar zurückgekehrt, und Surreal wusste nicht, wer jener Priester war, geschweige denn, wo man nach ihm suchen sollte.
Sie schnitt die Kartoffeln auf. »Ich glaube ihm kein Wort.« Als sie aufblickte, lag ein klarer, gefasster Ausdruck in seinen Augen, der jedoch sogleich wieder verschwand. Daemon schüttelte den Kopf.
»Sie ist tot.«
»Vielleicht hat er Unrecht.« Sie entnahm der Schüssel zwei Portionen Salat, bevor sie sich setzte und ihr Steak anschnitt. »Iss.«
Er nahm am Tisch Platz. »Lucivar würde mich nicht anlügen. «
Zähneknirschend strich Surreal Sauerrahm auf Daemons Ofenkartoffel. »Ich habe nicht gesagt, dass er gelogen hat, sondern dass er sich getäuscht haben könnte.«
Daemon schloss die Augen. Nach ein paar Minuten öffnete er sie wieder und starrte den Teller an, der vor ihm auf dem Tisch stand. »Du hast Abendessen gekocht.«
Er war fort, war in einen anderen Pfad inmitten jener zerborstenen inneren Landschaft eingebogen.
»Ja, Daemon«, meinte Surreal, indem sie sich zwang, nicht in Tränen auszubrechen. »Ich habe gekocht. Lass uns essen, bevor es kalt wird.«
Während Daemon ihr beim Abwasch half, stellte Surreal fest, dass sein Wahnsinn sich auf Gefühle, Leute und jene einzelne Tragödie beschränkte, der er sich nicht stellen konnte. Es war, als sei Titian nie gestorben, als habe sich Surreal nicht drei Jahre lang als Hure in dunklen Hintergassen verdungen, bevor Daemon sie wiedergefunden und dafür gesorgt hatte, dass sie eine Ausbildung in einem Haus des Roten Mondes erhielt. Er dachte, sie sei immer noch ein Kind, und machte sich weiterhin Sorgen über Titians Abwesenheit. Doch als sie ein Buch erwähnte, das sie gerade las, machte er eine trockene Bemerkung über ihren höchst ausgefallenen Geschmack und empfahl ihr weitere Werke, die sie interessieren könnten. Ebenso verhielt es sich mit Musik und Kunst. Sie stellten keine Bedrohung für ihn dar, besaßen keinerlei zeitlichen Rahmen und waren nicht Teil des Alptraums, in dem Jaenelle blutend auf dem Dunklen Altar gelegen hatte.
Allerdings war es anstrengend, so zu tun, als sei sie ein kleines Mädchen, und sich nicht anmerken zu lassen, dass sie die Unsicherheit und die Seelenqualen in seinen goldenen
Augen bemerkte. So schlug sie bereits früh am Abend vor, dass sie schlafen gehen sollten.
Seufzend legte sie sich ins Bett. Vielleicht war Daemon genauso erleichtert wie sie, endlich allein zu sein. Tief in seinem Innern wusste er, dass sie kein Kind mehr war – und dass sie mit ihm an Cassandras Altar gewesen war.
Nebel. Blut. So viel Blut. Zerborstene Kristallkelche.
Du bist mein Instrument.
Worte lügen. Blut nicht.
Sie ist eine der kindelîn tôt.
Vielleicht hat er Unrecht.
Er wand sich hin und her.
Vielleicht hat er Unrecht.
Der Nebel lichtete sich und gab den Blick auf einen schmalen Pfad frei, der bergauf führte. Mit einem Schaudern starrte er auf die spitzen Felssplitter überall auf dem Weg, die zur Seite und schräg nach unten zeigten und wie gewaltige Steinzähne aussahen. Auf dem Weg nach unten würde man lediglich von den abwärts zeigenden, scharfen Kanten der Felsen zerschnitten. Auf dem Weg nach oben allerdings …
Er begann den Aufstieg, wobei ganze Stücke von ihm an den gierigen Spitzen hängen blieben. Nach einem Viertel des Weges fiel ihm schließlich das Geräusch auf: das Tosen schnell fließenden Wassers. Als er den Blick hob, sah er es über die Klippe hoch über dem Pfad fließen und auf ihn zustürzen.
Doch es war kein Wasser. Blut. So viel Blut.
Es gab nicht genug Platz, um kehrtzumachen. Er kletterte rückwärts, doch die roten Fluten holten ihn ein und schleuderten ihn gegen die steinernen Worte, die nun schon so lange versuchten, seinen Geist zu zertrümmern. Nachdem er den Halt verloren hatte und hilflos in den Wogen trieb, bemerkte er ein Stück Land, das sich ruhig aus den Fluten erhob. Er kämpfte
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