Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
stieß sich von der Tür ab und strich eine Falte aus ihrem Kleid. »Aber du hattest Recht: Es war gut, ihr die erste Stunde zu geben und zu wissen, wie es sein wird, sie zu unterrichten, bevor ich versuche, damit zurechtzukommen, was sie ist.«
Sie sah, wie sich seine goldenen Augen veränderten.
»Und was meinst du, ist sie, Luthvian?«, wollte er mit trügerisch sanfter Stimme wissen.
Schau unter die Haut.
Sie sah ihm in die Augen. »Deine Tochter.«
Saetan schlenderte gemächlich am Rand der breiten, unbefestigten Straße entlang. Da es Jaenelle, die sich ein Stück vor ihm befand, nicht eilig zu haben schien, verspürte er nicht den Drang, sie unbedingt einholen zu müssen. Abgesehen davon war es besser, ihr Gelegenheit zu geben sich zu beruhigen, bevor er sie fragte, was er wissen musste. Weil sie eine Königin war, würde das Land sie ohnehin viel schneller besänftigen, als er es könnte.
Darin war sie wie jede andere Königin, die er je gekannt hatte. Ganz egal, worin ihre sonstigen Fähigkeiten bestanden, es waren sie, die sich am meisten vom Land angezogen fühlten und den engen Kontakt zur Erde brauchten. Selbst Königinnen, die zumeist in großen Städten residierten, hatten einen Garten, in dem ihre Füße die lebende Erde berühren konnten, und wo sie in aller Ruhe dem lauschten, was das Land ihnen zu sagen hatte.
Also spazierte er ohne Hast und genoss es, endlich wieder in der Lage zu sein, eine Straße an einem Sommermorgen entlangzugehen und das sonnenüberflutete Land zu betrachten. Zu seiner Rechten befand sich das eingezäunte Gemeindeweideland von Doun, auf dem das Vieh und die Pferde sämtlicher Dorfbewohner grasten. Zu seiner Linken, gleich hinter der Steinmauer, die Luthvians Garten umgab, erstreckten sich Wiesen mit unzähligen Feldblumen. In der Ferne erhoben sich Fichten und Kiefern. Dahinter waren die Berge auszumachen, die Ebon Rih umgaben.
Jaenelle verließ die Straße und blieb stehen. Sie hatte allem, das mit Zivilisation zu tun hatte, den Rücken zugewandt, und ihre Saphiraugen waren unverwandt auf die Wildnis gerichtet. Er näherte sich ihr nur langsam, da er sie nicht in ihren Betrachtungen stören wollte.
In Luthvians Haus war nichts geschehen, womit sich das Ausmaß von Jaenelles Wut erklären ließe. Nichts hatte ihn auf jene Konfrontation vorbereitet, als sich ein Teil ihres Zorns gegen ihn wandte. Er wusste noch immer nicht, was er getan hatte, um ihn heraufzubeschwören.
Sie drehte sich zu ihm um. Äußerlich wirkte sie ruhig, was jedoch nichts daran änderte, dass sie immer noch kampfbereit war.
Kämpfe nur mit einer Königin, wenn du keine andere Wahl hast. Ein guter, brauchbarer Rat des Haushofmeisters an dem ersten Hof, an dem Saetan je gedient hatte.
»Was hältst du von Luthvian?«, fragte Saetan, indem er Jaenelle den rechten Arm anbot.
Jaenelle musterte ihn eine Weile, bevor sie sich bei ihm unterhakte. »In der Kunst kennt sie sich jedenfalls aus.« Sie rümpfte die Nase und lächelte. »Ich mag sie, auch wenn sie heute ein wenig reizbar zu sein schien.«
»Hexenkind, Luthvian ist immer ein wenig reizbar«, erwiderte Saetan trocken.
»Ach was. Besonders dir gegenüber?«
»Es gibt da etwas in unserer Vergangenheit.« Er wartete auf die unvermeidbaren Fragen und spürte ein gewisses Unbehagen
in sich aufsteigen, als Jaenelle nichts sagte. Vielleicht interessierten vergangene Beziehungen sie nicht. Oder sie befand sich längst im Besitz sämtlicher Antworten, die sie benötigte. »Warum warst du so wütend auf Roxie?«
»Du bist keine Hure«, entgegnete Jaenelle unwirsch und entzog sich ihm.
Auf einmal schien es viel dunkler um ihn her zu sein, doch als er aufblickte, war der Himmel genauso blau wie gerade eben, und die Wolken bauschten sich unverändert weiß am Horizont. Nein, das Gewitter, das sich zusammenbraute, stand ein paar Schritte vor ihm, die Hände zu Fäusten geballt, die Beine in Kampfhaltung – und Tränen in den gehetzten Augen.
»Niemand hat behauptet, ich sei eine Hure«, meinte Saetan leise.
Tränen rannen Jaenelles Wangen hinab. »Wie konntest du es dann zulassen, dass dieses Miststück dich derart behandelt? «, fauchte sie ihn an.
»Mich wie behandelt?«, entgegnete er aufgebracht, da es ihm nicht länger gelang, seinen Ärger zu unterdrücken.
»Wie konntest du zulassen, dass sie dich so ansieht … und dich zwingt …«
» Mich zwingt? Wie im Namen der Hölle, glaubst du, könnte mich dieses Kind zu irgendetwas
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