Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
– und ertappte ihn dabei, wie er sich eine Faust in den Rücken stemmte, um die chronischen Schmerzen zu lindern. Sie wandte sich wieder ab, da sie wusste, dass sich die Abscheu jedes Mal in ihren Zügen widerspiegelte, wenn sie ihn dieser Tage ansah.
»Was willst du, Kartane?«
»Hast du etwas herausgefunden?«, wollte er zögernd wissen.
»Es gibt nichts herauszufinden«, entgegnete Dorothea scharf und stellte das Glas ab, um es nicht mit der bloßen Hand zu zerquetschen. »Dir fehlt nichts.« Das war eine Lüge. Jeder, der auch nur einen Blick auf ihn warf, wusste, dass es eine Lüge war.
»Es muss doch einen Grund geben, weshalb …«
» Dir fehlt nichts .« Genauer gesagt nichts, an dem sie etwas ändern konnte. Doch sie sah keinen Anlass, ihn das wissen zu lassen.
»Es muss doch an etwas liegen«, meinte Kartane beharrlich. »Irgendein Zauber …«
»Wo denn?« Dorothea wandte sich ihm zornentbrannt zu. »Zeig mir, wo. Da ist nichts, sage ich dir. Absolut nichts .«
»Mutter …«
Dorothea versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Nenn mich nicht so.«
Kartane erstarrte und schwieg.
Dorothea atmete tief durch und streichelte mit den Händen ihre Hüften. Dann sah sie ihn an, ohne ihren Ekel zu verbergen. »Ich werde die Angelegenheit weiterhin im Auge behalten. Im Moment habe ich allerdings andere Verpflichtungen. «
Gehorsam verbeugte Kartane sich und verließ den Raum.
Sobald Dorothea wieder allein war, griff sie nach dem Weinglas und fluchte, als sie bemerkte, wie stark ihre Hand zitterte.
Kartanes Krankheit wurde immer schlimmer, und es gab nichts, was sie dagegen unternehmen konnte. Die besten Heilerinnen von Hayll konnten keine physische Ursache für die Verschlechterung seines körperlichen Zustands finden, weil es keine gab. Bis vor ein paar Monaten hatte sie dennoch darauf bestanden, dass die Heilerinnen weiter forschten. Doch dann hatten Kartanes Schreie sie geweckt, und sie hatte von seinen Träumen erfahren.
Es ging alles auf dieses Mädchen zurück: Greers Tod, Kartanes Krankheit, das Zerbrechen von Daemons Ring, Hekatahs Besessenheit.
Alles ging auf dieses Mädchen zurück.
Also war Dorothea heimlich nach Chaillot aufgebrochen und hatte herausgefunden, dass sämtliche Männer, die mit einer Institution namens Briarwood in Verbindung gestanden hatten, an ähnlichen Symptomen litten. Ein Mann schrie mindestens einmal am Tag, dass seine Hände abgehackt würden,
obwohl er sie sehen und bewegen konnte. Zwei andere faselten etwas von einem Bein.
Wütend war sie nach Briarwood gegangen, das mittlerweile aufgegeben worden war, und hatte dort nach dem Verworrenen Netz von Träumen und Visionen gesucht, das ihrer Meinung nach all diese Männer gefangen halten musste.
Ihre Anstrengungen waren fehlgeschlagen. Das Einzige, was sie dem Holz und Stein entlocken konnte, aus dem Briarwood erbaut war, war gespenstisches Hohngelächter gewesen. Nein, da war noch etwas anderes: Nach einer Stunde hatte sich die Atmosphäre um sie her mit Angst angefüllt – mit Angst und einem Gefühl ungeduldiger Erwartung. Sie hätte noch ein wenig tiefer suchen, sich ein wenig mehr Mühe geben können. Wenn sie es getan hätte, wäre sie gewiss auf einen Strang gestoßen, der sie in das Netz führte. Ebenso sicher konnte sie sich aber sein, dass sie nie wieder herausgefunden hätte.
Alles ging auf dieses Mädchen zurück.
Sie war nach Hause zurückgekehrt, hatte die Heilerinnen entlassen und Kartane jedes Mal erklärt, ihm fehle nichts, wenn er um Hilfe bat.
Auf dieser Diagnose würde sie beharren; nicht nur, weil es nichts gab, was sie tun konnte, sondern auch, weil diese Vorgehensweise ihr von Nutzen sein würde. Sobald Kartane sich sicher sein konnte, dass von ihr keinerlei Beistand zu erwarten war, würde er woanders Mitleid suchen. Er würde nach der einen Person suchen, zu der er immer als Kind gelaufen war, wenn er Hilfe brauchte.
Und früher oder später würde er Daemon Sadi für sie finden.
3Kaeleer
S aetan stürmte durch die Gänge auf das Gartenzimmer zu, das auf eine Terrasse an der Rückseite der Burg hinausging.
Es war nun drei Tage her, seitdem Jaenelle, Prothvar und Rauch aufgebrochen waren, um das Wolfsrudel zu holen! Drei lange Tage voll quälender Sorgen, in denen er an nichts als Jäger und Gift hatte denken können und daran, wie jung sie gewesen sein musste, als sie den verwandten Wesen zum ersten Mal begegnet war und ihnen beigebracht hatte, die Fallen der Menschen zu umgehen.
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