Die schwarzen Juwelen 04 - Zwielicht
zwang Andulvar sich, das Durcheinander an Körperteilen zu betrachten, das einmal ein Baby gewesen war.
Ihr Narren. Nur die Dunkelheit weiß, was eure Tat heraufbeschwören wird.
Schließlich hörte das Schluchzen auf. Saetan trat zurück und rief ein Taschentuch herbei, mit dem er sich das Gesicht abwischte. Seine goldenen Augen waren trübe vor Schmerz und Trauer.
Andulvar holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Warum gehst du nicht auf dein Zimmer und ruhst dich aus? Ich werde mich um …«
»Nein.« Kopfschüttelnd ließ Saetan das Taschentuch verschwinden. »Er ist mein Sohn. Ich werde mich um ihn kümmern.« Nachdem er die Schatulle geschlossen hatte, griff er danach. »Würdest du dem zuulamanischen Gesandten ausrichten, er möge mich hier in drei Stunden treffen?«
»Was wirst du tun?«
Saetan schluckte hart. »Das verfluchte Abkommen unterzeichnen, um meine Frau zurückzubekommen.«
Die Welt war voller weicher Formen, grauer Schemen, bedeutungsloser Schatten. Er ging schweigend durch sie hindurch, als er die Burg verließ und auf den Baum zutrat. Er
kam oft hierher, saß unter dem Baum und las, wenn er allein sein wollte. Er saß oft in seinem Schatten, während er auf Mephis und Peyton aufpasste, wenn sie in der Nähe des Teiches spielten.
Er sank in die Knie, stellte die Schatulle ab und öffnete sie.
Jetzt spürte er keinen Schmerz. Überhaupt kein Gefühl. Nichts außer einer schrecklichen Klarheit. Der Nebel hatte seinen Kummer und seinen Zorn in sich aufgesogen. Sie befanden sich nicht länger in seinem Innern. Stattdessen befand er sich in ihrem Innern.
Das Baby weinte. Irgendwo in dem Nebel, der die Welt in graue, gespenstische Schemen verwandelte, weinte das Baby.
Er zog sich das Hemd aus und breitete es auf dem Gras aus. Behutsam nahm er die einzelnen Körperteile aus der Schachtel und ordnete sie auf dem Stoff an.
»Es tut mir Leid«, flüsterte er. »Ich habe versucht, das Richtige für die Menschen zu tun, über die ich herrsche, habe versucht, meine Versprechen zu halten. Dass der Preis so hoch sein würde, wusste ich nicht.« Ihm traten Tränen in die Augen. »Du wirst nie deine Brüder kennen lernen, wirst nie mit einem Spielzeugschiff über das Phantommeer segeln, aber du wirst nicht alleine sein. Wir werden dich nicht vergessen. Wenn ich mit ihnen hierher komme, werde ich auch wegen dir hier sein. Das verspreche ich dir. Solange ich lebe, wirst du nicht in Vergessenheit geraten.«
Sorgsam wickelte er das Hemd um die Leichenteile und versenkte das Bündel mithilfe der Kunst tief in der Erde. Als er fertig war, markierte kein Zeichen die Stelle. Nichts deutete an, dass sich an diesem Ort ein Grab befand. Es war, als habe es seinen kleinen Sohn niemals gegeben.
Doch das Baby weinte noch immer.
Er erhob sich, ließ die Schatulle verschwinden und ging zur Burg zurück. In ihm war nichts außer einer schrecklichen Klarheit - und einem Sturm, der sich von den Nebelschwaden verdeckt zusammenbraute.
8
Andulvar stand ein Stück hinter dem Schreibtisch, an dem Saetan saß. Die Tischplatte war leer, bis auf das Handelsabkommen, einen Federkiel und eine kleine schwarze Marmorschale.
Der zuulamanische Gesandte stand vor dem Schreibtisch. Offensichtlich war er alles andere als glücklich darüber, sich zusammen mit Kriegerprinzen, die Schwarzgrau und Schwarz trugen, in einem Raum zu befinden.
Es war Andulvar völlig egal, ob der Gesandte glücklich war oder nicht. Saetan hatte ihn gebeten, während des Treffens anwesend zu sein, also würde er bleiben. Außerdem bereitete der glasige, schläfrige Blick in Saetans Augen ihm Unbehagen.
»Ihr habt gewonnen«, sagte Saetan leise. Er schob den linken Ärmel seines Hemdes empor und ritzte sich mit einem langen, schwarz gefärbten Fingernagel die Haut am Handgelenk auf. Blut floss in das Marmorschälchen.
»Was …« Der Gesandte schenkte Andulvar einen verwirrten Blick, bevor er sich an Saetan wandte. »Was machst du da?«
»Deine Königinnen haben meinen Sohn umgebracht.« Mithilfe der Kunst ließ Saetan die Wunde verheilen. »Sie haben ein Baby getötet, kaum dass es den Mutterleib verlassen hatte. Dieses Abkommen wurde mit Blut erkauft, also wird es auch mit Blut unterzeichnet.«
Schweigend beobachtete Andulvar, wie Saetan nach dem Federkiel griff, ihn in das Blut eintauchte und das Abkommen unterschrieb. Als er den Federkiel ablegte, trat der Gesandte vor und streckte die Hand nach dem Pergament aus.
Da fuhr ein schwarz
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