Die schwarzen Juwelen 04 - Zwielicht
Fleisch seines eigenen Fleisches, Blut seines Blutes handelte.
Die Benommenheit, welche die Schmerzen in Schach hielt, nahm ab und drohte ganz zu zersplittern. Er klammerte sich daran fest, ebenso wie an den letzten Rest klaren Verstandes, um nicht den Verlockungen der gewundenen, nebligen Stra ßen zu erliegen. Es wäre so einfach, über die Grenze hinaus in den Wahnsinn zu gleiten, den die Angehörigen des Blutes
das Verzerrte Reich nannten; zumal es nach ihm rief und ihm versprach, dass er dort keinerlei Schmerzen mehr erleiden müsste. Außerdem wusste er, dass er in diesem Augenblick nicht vom Rand wegtreten und völlig in der Welt des gesunden Menschenverstandes aufgehen konnte.
Unendlich behutsam schloss er den Deckel der Schatulle, goss sich ein großes Glas Brandy ein und ließ sich in einem Sessel nieder, um abzuwarten.
6
Es wird nicht ausreichen«, sagte Hekatah zu den zuulamanischen Königinnen, die sich in dem Wohnzimmer versammelt hatten, das man ihr zur Verfügung gestellt hatte. »Es wird ihn bekümmern, aus der Fassung bringen, aber es wird nicht ausreichen, ihn dazu zu bewegen, nachzugeben und uns zu geben, was wir von ihm wollen.«
»Es war noch nicht genug Zeit, eine Nachricht von dem Gesandten zu erhalten, der in dem Dorf in der Nähe von Burg SaDiablo abgestiegen ist«, stellte eine der Königinnen fest. »Wir können abwarten und sehen …«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir müssen schnell zuschlagen und hart, bevor er zu viel Gelegenheit bekommt, um nachzudenken. Wir müssen …« Ihn dafür bestrafen, dass ihm sein kostbarer Ehrenkodex wichtiger ist als das Leben seiner eigenen Frau . »… ihm mehr Anreiz geben.«
»Was schlägst du vor?«, wollte eine andere Königin wissen.
Hekatah lächelte. »Schickt die andere Schatulle.«
7
Andulvar schritt durch die große Eingangshalle auf die Tür von Saetans Arbeitszimmer zu. Über dem ganzen verdammten
Ort lag eine gedämpfte Stimmung, als hätten die Leute vor einem gewaltigen Unwetter Zuflucht gesucht.
Und es würde einen Sturm geben. Er konnte spüren, wie es sich jenseits der Tiefe seiner schwarzgrauen Juwelen zusammenbraute. Beim Feuer der Hölle! Es war ihm nicht schwer gefallen, die Ausläufer von seinem Horst in Askavi aus zu spüren.
Aus diesem Grund hatte er sich auf den schwarzgrauen Wind geschwungen und war zur Burg gereist, wo er bei Anbruch der Morgendämmerung angekommen war. Etwas rüttelte an Saetans Selbstbeherrschung, und er wollte lieber nicht herausfinden, was geschah, wenn ein Kriegerprinz mit schwarzem Juwel die Kontrolle über sich verlor.
Er riss die Tür des Arbeitszimmers auf und betrat den Raum.
Saetan stand hinter dem Ebenholzschreibtisch, das Gesicht mit Tränen überströmt, und starrte auf eine offene Schatulle, die mitten auf dem Schreibtisch stand.
»Sie haben seinen Kopf behalten«, flüsterte Saetan.
Andulvar trat vor. »Wovon sprichst …«
Er war ein ausgebildeter Krieger, mit Leib und Seele. Ein eyrischer Kriegerprinz, der nie gezögert hatte, ein Schlachtfeld zu betreten. Doch nachdem er einen Blick auf den Inhalt der Schachtel geworfen hatte, taumelte er zwei Schritte zurück. »Mutter der Nacht.«
Mit zitternder Hand griff Saetan in die Schachtel und strich zärtlich mit einem Finger über ein winziges Beinchen. »Was für Leute sind das? Was für Leute würden einem Baby so etwas antun?«
»Saetan …« Andulvar musste hart schlucken, um die Übelkeit hinunterzukämpfen. Dann näherte er sich wieder dem Schreibtisch.
»Ich dachte nicht, dass sie hierzu fähig wären. Selbst nachdem sie mir einen seiner Finger geschickt haben, dachte ich nicht, dass sie hierzu in der Lage wären.«
Sie hatten was?
»Es tut mir Leid«, flüsterte Saetan und streichelte mit dem
Finger über ein anderes Körperteil. »Ich wusste nicht, dass sie keinerlei Ehrgefühl im Leib haben. Es tut mir Leid. So unendlich Leid.«
Als Saetan aufblickte, sah Andulvar einen starken Mann vor sich, der im Begriff stand, zu zerbrechen - und der Eyrier fragte sich, ob Saetan sich überhaupt der Wut bewusst war, die unter seinem Kummer wuchs und wuchs.
»Andulvar …« Saetans Stimme stockte. »Sieh nur, was sie meinem Baby angetan haben. Sieh …«
Andulvar packte ihn und zog ihn in seine Arme. Er hielt Saetan voll freundschaftlicher Liebe umklammert, während dieser an den spitzen Kanten seiner Trauer zerbarst. »Halt dich an mir fest, Bruder. Halt dich fest.«
Während Saetan sich heftig schluchzend an ihn klammerte,
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