Die schwarzen Juwelen 04 - Zwielicht
sich zu lassen. Doch er ging die Straße entlang, damit die Leute in den anderen Häusern ihn sahen und Bescheid wussten. Er war das Gesetz in Ebon Rih, und nichts außer dem Befehl seiner Königin konnte daran etwas ändern.
»Prinz?«
Lucivar blieb stehen und drehte sich in Richtung der Stimme. Ein junger Mann stand in einer Gasse zwischen zwei Häusern. Adrett gekleidet, doch nicht aus einer Adelsfamilie. Wahrscheinlich der Sohn eines Kaufmanns. »Was kann ich für dich tun?«
»Es hat Gerüchte gegeben …« Er blickte die Straße hinab. »Ich meine … Roxie …«
»Ist aus Ebon Rih verbannt.«
Der Jüngling schloss die Augen. »Danke.«
Lucivar schluckte seinen Zorn hinunter. So. Hier war also eines von Roxies Opfern. »Sie wird dir nichts mehr tun.«
»Aber was ist mit den anderen?«, fragte der junge Mann mit flehender Stimme.
»Welche anderen?«, stieß Lucivar hervor.
»Wir … Roxie und ich … haben es nur zwei Mal gemacht. Dann hat sie das Interesse an mir verloren und meinte, ich sei es nicht wert, dass sie mir ihre Aufmerksamkeit schenkt. Doch ihre Freundinnen fingen an, in den Laden meines Vaters zu kommen, und sie wollten … erwarteten …« Bitterkeit trat
in seine Augen. »Sie sagten, ich solle das Gleiche mit ihnen machen, was ich mit Roxie gemacht habe. Aber ich hegte Gefühle für Roxie, und ich dachte, sie würde mich auch …« Seine Stimme verlor sich.
»Hält deine Familie zu dir?«
»Ja, Sir. Mein Vater sagt, es ist kein Fehler, so viel für ein Mädchen zu empfinden, dass man mit ihr intim werden möchte. Mein Fehler bestand lediglich darin, mich in das falsche Mädchen zu verlieben. Und meine Mutter meint, alle jungen Männer müssen einmal straucheln, und dass es letzten Endes einen besseren Mann aus mir machen wird.«
»Aber das hindert die anderen Miststücke nicht daran, von dir zu erwarten, dass du die Hosen für sie runterlässt«, sagte Lucivar.
Der Jüngling ließ den Kopf hängen. »Nein, Sir.«
Beinahe hätte er dem Jungen gesagt, es gäbe nichts, was er für ihn tun könnte. Dann fielen ihm Saetans Regeln ein, die für jeden galten, der sich in der Burg aufhielt. »Das hier ist ein Befehl, Welpe, also hör gut zu.« Er wartete, bis der Jüngling sich wieder aufgerichtet hatte und ihn anstarrte. »Bis ich es wieder zurücknehme, darfst du ohne meine Erlaubnis mit keinem Mädchen schlafen. Das heißt, dass ihr beiden vor mich treten und mir sagen müsst, dass ihr einander wollt. Küssen und schmusen ist erlaubt, jedenfalls oberhalb der Gürtellinie. Solltest du aber weiter gehen, werde ich dich grün und blau prügeln. Und sie werde ich auch grün und blau prügeln, bloß damit klar ist, dass ihre Strafe genauso hart ausfallen wird, sollte sie dich drängen, nachdem du dich geweigert hast. Verstanden?«
»Ja, Sir. Vielen Dank.«
»Scher dich nach Hause. Kein Mann, der noch ganz bei Verstand ist, wird sich heute in der Nähe dieser Straße aufhalten wollen.«
Ein unterdrücktes Lächeln. »Ja, Prinz.«
Lucivar sah dem jungen Mann nach, der die Straße entlangging und um die Ecke bog. Er lief nicht wirklich, doch er ließ sich auf seinem Heimweg in seinen Teil des Dorfes
auch nicht gerade Zeit. Ein Beispiel, dem Lucivar zu folgen gedachte.
Er breitete die Flügel aus und schwang sich in Richtung des klaren Frühlingshimmels. Dann schwebte er einen Augenblick über den Häusern, bevor er auf den roten Wind aufsprang und zum Bergfried reiste.
Lucivar beobachtete Saetan, der Bücher durchstöberte, die sich auf dem gewaltigen Ebenholzschreibtisch in der Bibliothek des Bergfrieds stapelten. Er wusste nicht, weshalb sein Vater derart viele Nachschlagewerke konsultieren musste, aber wenn es auch nur das Geringste mit Jaenelle zu tun hatte, wollte er es auch lieber gar nicht wissen. »Habe ich das Richtige getan?«
»An wen richtest du deine Frage?«, erwiderte Saetan.
»Den Kriegerprinzen von Dhemlan.«
Saetan legte die Bücher beiseite und betrachtete ihn. »Du hast das Richtige getan. Es bestand nicht ausreichend Grund, eine Hinrichtung anzuberaumen oder Roxie zu zerbrechen und sie der Kraft zu berauben, die sie vielleicht dazu benutzt hat, einen Mann mit helleren Juwelen dazu zu … überreden … mit ihr zu schlafen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Adelsfamilien in Doun ein paar hässliche Dinge über dich sagen werden …«
Lucivar schnaubte verächtlich. »Das ist mir völlig gleich.«
Saetan nickte, als habe er mit dieser Antwort gerechnet.
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