Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
»Das sagen sie alle. Und alle gewöhnen sich daran. Letzten Endes.«
Erst als Jared die Hufschläge der Stute vernahm, näherte er sich Reynas Gewächshaus.
Sie hatte einen Wassereimer und den speziell geformten Schöpflöffel gefunden, mit dem Reyna immer die Setzlinge gegossen hatte.
»Lia.« Jared wartete darauf, dass sie auf seine Anwesenheit reagierte.
Sie tat es nicht.
Ihm war unbehaglich zumute, und er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, während er ihr dabei zusah, wie sie sich von einem Topf zum nächsten bewegte und so leise sprach, dass er die Worte nicht verstand, die ohnehin nicht für ihn gedacht waren.
Sie hielt den Schöpflöffel in der linken Hand. Zwei Finger ihrer rechten Hand ruhten knapp über der Erde in dem Topf. Sie goss das Wasser über ihre Finger und murmelte etwas. Die gleichen Bewegungen, die gleichen Worte, wieder und wieder.
Erst als er sich die Setzlinge in den ersten Töpfen genauer ansah und entdeckte, wie viel stärker und grüner sie aussahen als die Übrigen, wurde ihm klar, was sie tat.
Der Zauber einer Königin.
Laut der ältesten Legenden waren die Angehörigen des Blutes als Hüter des Reiches erschaffen worden. Sie sollten
die eindrucksvolle Macht, die ihnen geschenkt worden war, einsetzen, um das Gleichgewicht zwischen dem Land und seinen Bewohnern aufrechtzuerhalten. Als Hüter wurden sie die Herrscher über alles, das auf Terreilles Boden wandelte, oder durch die Lüfte flog, oder im Wasser schwamm.
Der Preis der Macht war der Dienst. Jedenfalls hieß es so in den Legenden.
Die Angehörigen des Blutes hatten großen Respekt vor dem Land. Viele besaßen eine besondere Gabe, wenn es darum ging, das Land zu beschützen und zu hegen.
Doch nur eine Königin konnte es heilen, wenn es einmal verwundet worden war. Nur das Blut und die Kraft einer Königin konnten kahlen Boden wieder in fruchtbare Erde verwandeln.
Denn eine Königin war nichts anderes als das Herz des Landes.
Jared trat von hinten an sie heran, hob ihre rechte Hand und goss Wasser von dem Schöpflöffel darüber, um die Schnitte zu reinigen, die sie sich an den Fingerspitzen zugefügt hatte.
»Nein, Lia«, sagte er sanft und drehte sie zu sich.
Sie starrte seine Brust an. »Lass mich. Ich muss es tun.«
Jared schüttelte den Kopf. »Wir können sie nirgends pflanzen. Es gibt keinen Ort, an dem sie gedeihen würden.« Traf das auch auf die Menschen von Shalador zu?, fragte er sich. Würden auch sie verwelken und sterben?
Da sie sich ihm nicht entzog, schlang er die Arme um sie und zog sie näher zu sich. Er stieß ein Seufzen aus, als ihre Hände seine Taille berührten.
»Ich bin ihr früher immer hier drinnen zur Hand gegangen«, sagte Jared mit gedämpfter Stimme. »Sie hat immer gesagt, ich müsse mich schon nützlich machen, wenn ich ihr unbedingt …«
»Wenn du ihr unbedingt?«, fragte Lia, als er den Satz nicht vollendete.
Jared zog eine Grimasse. »Wenn ich ihr unbedingt auf die Nerven fallen wolle.«
Lia kicherte. »Kein Wunder, dass du so gut darin bist. Du hast dein ganzes Leben lang geübt.«
Jared gab ein grollendes Geräusch von sich, das sie nur noch weiter erheiterte.
Er zog sie noch enger an sich und legte die Wange an ihren Haarschopf. »Ein paar Monate nachdem ich den Ring angelegt bekam, habe ich sie ein letztes Mal gesehen. Während meiner Ausbildungszeit. Ich habe keine Ahnung, ob sie aus einem anderen Grund in dem betreffenden Territorium war und nur zufälligerweise über jenen Platz spazierte, oder ob sie irgendwie herausgefunden hatte, wo ich war, und hergekommen war, um mich zu treffen.
Ich habe sie gesehen. Es wäre auch schwer gewesen, eine Frau mit goldener Haut und glänzendem schwarzem Haar zu übersehen, das ihr bis zur Taille fiel. Und dann waren da noch diese seltenen grünen Augen.« Er hielt inne. »Ich habe ihre Augen geerbt.«
Lia streichelte seinen Rücken.
»Die Hexen, die für die Ausbildung verantwortlich waren, haben sie auch gesehen. Sie haben nicht gewusst, wer sie war, und es war ihnen auch egal, aber ihnen war klar, dass ihre Gegenwart mir etwas bedeutete. Eine Hexe kam zu mir und spielte durch meine Kleidung hindurch an mir herum. Und ich konnte nicht das Geringste dagegen tun. Bis zu dem Zeitpunkt hatten sie mir nichts angetan, das ich als derart erniedrigend empfunden hatte. In gewisser Weise grenzt es schon an Ironie, dass ich mich so sehr dafür schämte, denn normalerweise freuen sich shaladorische Jungen auf den
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