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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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dazwischen eine Textanzeige ins Auge: Mannheim, Juni 1972 . . .
    Der Prediger betritt das Zimmer. Wieder ist er gekleidet, als müsse er den Besucher gleich auch beerdigen, und sein Gesicht ist angeknittert wie nach einem zu langen Mittagsschlaf. Er zwingt sich, Berndorf die Hand zu reichen, und setzt sich hinter seinen Schreibtisch.
    »In diesem Hause wird niemand abgewiesen. Aber ich weiß wirklich nicht, was ich für Sie tun kann.«
    Berndorf sagt nichts. In der linken Hand hält er die blassrote Blüte, die er gezupft hat, und betrachtet sie. Dann legt er sie auf das Anzeigenblatt und holt aus seiner Jackentasche das Flugblatt, vor dem Wilhelm Troppau davongelaufen ist, davongelaufen aus dem frommen Hause und schließlich auch aus dem Leben. Berndorf reicht das Blatt über den Tisch.
    Der Prediger betrachtet es. Dann reicht er es zurück. »Schlimm. Was sündige Menschen einander anzutun vermögen. . . Aber warum zeigen Sie mir das? Damit habe ich nichts zu schaffen.« Berndorf sieht ihn an. »Eines versteh ich nicht«, sagt er schließlich. »Weshalb lügt Ihr Gott?«
    Bleich und entrüstet blickt der Prediger auf. »Sie kommen in dieses Haus, um . . . um Gott zu lästern?«
    »Ich doch nicht«, widerspricht Berndorf fröhlich. »Sie tun
es. Wer vom wahrhaftigen Wort Gottes redet, teilt mit, dass es auch ein gelogenes gibt.« Er nimmt die blassrote Blüte wieder auf und riecht daran. »Es ist immer das Gleiche mit euch Zeitungsleuten, Blümchen. Die Sünde des Adjektivs. Unweigerlich nennt ihr einen Todesfall einen tragischen. Dabei gibt es komische, glauben Sie mir. Wissen Sie überhaupt, warum man Sie Blümchen gerufen hat?«
    »Hören Sie«, sagt der Prediger, »was Sie da reden, ergibt für mich keinen Sinn. Sagen Sie mir, was Sie wollen, aber vergeuden Sie nicht meine Zeit. Ich habe sie nicht gestohlen.«
    »Jetzt reden Sie schon sehr viel normaler«, antwortet Berndorf und schiebt ihm das Anzeigenblatt zu. »Ich will wissen, ob Sie mir wenigstens zu dieser Anzeige etwas sagen können.«
    »Wie käme ich dazu?«, wehrt der Prediger ab, liest die Anzeige dann aber doch. Dann schüttelt er den Kopf. »Tut mir Leid.«
    »Schön«, meint Berndorf. Er lehnt sich im Besucherstuhl zurück und betrachtet den Prediger. »Diese Geschichte, um die es geht, treibt mich seit 28 Jahren um. Lässt mich des Nachts nicht schlafen. Und wenn ich schlafe, verfolgt sie mich in meinen Träumen. Jetzt kann ich sie vielleicht aufräumen. Die Toten begraben, wie es sich gehört.« Er lächelt. »Aber der Herr Friedemann Wehlich, Verlagskaufmann, mehrfach vorbestraft, zuletzt vermutlich bei einem Kirchenblatt angestellt, zu seinen besseren Zeiten Stammkunde im Quadrätche, Blümchen also will sich nicht erinnern.«
    Der Prediger gibt den Blick zurück, scheinbar ungerührt. »Worauf soll das hinaus? Auf eine Erpressung?«
    »Sie würden es gewohnt sein«, antwortet Berndorf. »Troppau hat sich nicht deshalb Ihrer Gemeinde angeschlossen, weil er sich Beistand oder Trost oder was weiß ich von Ihnen versprochen hätte. Das wäre ja auch gewesen, als ob er einen Ochsen hätte melken wollen . . .« Berndorf macht eine kurze Pause, spricht aber weiter, bevor der Prediger etwas sagen kann. »Troppau kam zu Ihnen, weil er Sie erkannt hat. Er wusste, dass sie für den Aufbruch gearbeitet haben. Vermutlich
hat er Sie aus dem Quadrätche gekannt, Polizisten verkehrten manchmal dort. Was wollte er von Ihnen?«
    »Wenn Sie so schlau sind«, antwortet der Prediger, »erzählen Sie es mir. Erzählen Sie mir ruhig, was Sie sonst noch alles erfunden haben.«
    »Ich glaube nicht«, fährt Berndorf fort, »dass er wegen des Geldes zu Ihnen kam. Sie wissen schon – die Beute aus der Landeszentralbank. Wenn Sie die zur Seite hätten schaffen können, wie auch immer, hätten Sie danach keine Provisionsabrechnungen fälschen müssen. Troppau hat Sie nach der silbernen Kette gefragt, nach Franziska Sinheim und den Leuten, die mit ihr in Beziehung standen. Was haben Sie ihm gesagt? Nicht viel. Nicht, weil Sie irgendjemanden hätten decken wollen. Für die Leute aus der Redaktion haben Sie nicht gezählt. Für die waren Sie Blümchen, ein komischer kleiner Pflastertreter, der den Leuten Löcher in den Bauch redet, bis sie komische kleine Anzeigen aufgeben, von denen dann die Gehälter der Damen und Herren Redakteure bezahlt werden. Nein, Sie haben keinen von denen geschützt. Aber es war nicht viel, das Sie Troppau erzählen konnten. Vielleicht . .

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