Die schwarzen Raender der Glut
Deckenlampen ihre Provisionen abrechneten. Beim Umbau des Hauptbahnhofs war das Restaurant durch ein Bistro mit Spiegeln und grünlich gefasertem Holzfurnier ersetzt worden, sodass die Gäste seither ganz von selbst darauf achten, ihren Zug nicht zu verpassen. Wegen der zuverlässig sich einstellenden Verspätungen ist ihnen das allerdings ohnehin kaum mehr möglich.
An einem der Tische, der wenigstens etwas abgeschirmt scheint von den übrigen, haben Tamar und Berndorf Platz genommen und warten darauf, dass das heiße Wasser in ihren Gläsern eine Farbe annimmt, die nach Tee aussieht.
»Die Oberförster sind hinter Ihnen her«, stellt Tamar fest. »Nett. Wie kommen Sie zu der Ehre?«
Berndorf zuckt die Achseln. »Ich sitze im Zug nach Aichach und sehe plötzlich einen, und der sieht nach Schlapphut aus.
Erst habe ich gar nicht begriffen, dass ich es bin, dem er nachläuft. Als ich zurückfuhr, war er von diesem Kinderfreund abgelöst worden. Was war das eigentlich, was mit ihm in der Halle passiert ist?«
Tamar erklärt es ihm. »Jedenfalls hat er sich dann in ein Taxi geflüchtet und ist weg.« Sie wirft einen prüfenden Blick auf ihr Gegenüber. »Sie waren in Aichach? In der JVA dort?«
Berndorf nickt nur und nimmt den Teebeutel aus seinem Glas. Dann nimmt er vorsichtig einen Schluck und setzt das Glas wieder ab. »Diesen Tee kann man nicht trinken.«
Du musst mir nichts erzählen, denkt Tamar. Gar nichts musst du. Aus ihrer Jackentasche holt sie zwei zusammengefaltete Fotokopien und schiebt sie wortlos über den Tisch.
»Ich hab in Aichach mit einer Strafgefangenen gesprochen«, sagt Berndorf und sieht die beiden Kopien durch. Es sind Auszüge aus dem Strafregister. »Sabine Eckholtz. Eine ehemalige Terroristin. Eigentlich wollte sie nicht mit mir reden, schon gar nicht über diese Geschichte von 1972. Trotzdem weiß ich jetzt wirklich, dass der Banküberfall getürkt war.«
Tamar betrachtet ihn nachdenklich. »Deshalb also die Oberförster?«
»Warum sonst?« Berndorf steckt die beiden Fotokopien ein. »Danke übrigens. Sagen Sie – Zundts merkwürdiger Assistent ist nicht aufgetaucht?«
»Warum sollte er, wenn er es nicht auf der Beerdigung getan hat?« Tamar klingt ein wenig kühl, wie jemand, der ruhig ein paar Informationen mehr hätte vertragen können. »Ich weiß nur, dass Grassl sich im Reutlinger Krankenhaus eine aufgeschlagene Augenbraue hat flicken lassen. Vorsichtshalber hab ich die bayerischen Kollegen in seinem Heimatort gebeten, behutsam bei seinen Angehörigen nachzufragen, falls noch welche da sind.«
»Behutsam? Das wird was werden.«
»Außerdem habe ich Ihnen herausgefunden, dass dieser Ernst Moritz Schatte im Juni 1972 in Heidelberg gemeldet
war. Hier.« Sie reicht ihm einen Zettel, auf dem eine Anschrift notiert ist. »Diese Frau Schiele ebenfalls. Die gleiche Anschrift. . . Dieser Schatte ist das Verbindungsstück, nicht wahr? Von Ihrem Fall zu meinem, will sagen, zum Tod von Zundt?« Berndorf betrachtet den Zettel. »Danke. Schatte hat es mir übrigens schon von sich aus gesagt, ganz freimütig . . .«
»Ich kann nicht ganz folgen.«
»Entschuldigung«, sagt Berndorf. »Er hat mir gesagt, dass er mit der Schiele zusammengelebt hat. Aber ich weiß noch immer nicht, wie die beiden Geschichten wirklich zusammenhängen. Schatte hat den Nekrolog auf Zundt gehalten. Das kann auch Zufall sein, oder besser: Seelenverwandschaft . . . Jetzt wächst eben zusammen, was zusammengehört. Die alte Rechte und die neue.« Ganz kurz hebt er die Hand, als lohne der Unterschied noch nicht einmal das Handumdrehen. »A propos: Haben Sie diesen Abgeordneten Schnappauf für Wieshülen interessieren können?«
Tamar nimmt einen Schluck von ihrem Tee und verzieht das Gesicht. »Ihn nicht so sehr. Er hat mit den Geheimdienstleuten offenbar mehr Ärger bekommen, als er überblicken kann. Zundt war ihm kein Begriff, und bisher findet er nichts Anstößiges daran, dass die Schlapphüte da observiert haben.«
»Aber jemanden haben Sie interessiert?«
»Kerstin will . . .« Sie unterbricht sich. Berndorf sieht zu ihr hoch. Plötzlich lächelt sie breit. »Bei Ihnen rede ich reichlich ungeschützt heraus, finden Sie nicht? . . . Kerstin ist die Parlamentarische Mitarbeiterin des MdB Schnappauf, und sie wird ihm eine Anfrage an das Innenministerium aufsetzen, was über die Bestrebungen dieser Akademie in Wieshülen bekannt sei und ob es Überschneidungen zu verfassungsfeindlichen Gruppierungen gebe.«
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