Die schwarzen Raender der Glut
Interesse, wie nett. Und wie könnte nun ich zur Befriedigung dieses Interesses beitragen, wenn wir uns schon so preziös unterhalten?«
Berndorf lächelt freundlich. »Wir haben auch über Schatte gesprochen, sicher erinnern Sie sich. Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Sie damals mit ihm zusammengelebt haben?«
Birgit lacht silberhell. »Vermutlich habe ich gedacht, dass Sie das nichts angeht. Das tut es doch auch nicht, oder?«
Berndorf nickt höflich. »Ernst Moritz Schatte hat einen merkwürdigen Weg zurückgelegt«, sagt er dann, ganz im Plauderton. »Gestern habe ich ihn selbst gehört, er hat einen Nachruf gehalten . . . Nun haben Nachrufe gerne etwas Gespensterhaftes. Aber Schatte beschwört Geister, von denen ich einmal gedacht habe, diese würden niemals mehr ihren Spuk treiben dürfen . . .« Er beugt sich nach vorne. Sein Blick sucht Birgits Augen. »Nun gibt es eine Geschichte aus der Zeit der Studentenrevolte, in der Schatte einen eigenartigen Auftritt hatte. Bei der Besetzung eines Hörsaals gerät ein herzkranker Professor in ein bedrohliches Gedränge, aus dem ihn Schatte herausholt, indem er dafür sorgt, dass der Kranke des Saales verwiesen wird. Was war das? Die demagogische List der Vernunft?«
»Ich kenne die Geschichte«, antwortet Birgit. »Jedenfalls so, wie Schatte sie mir erzählt hat. Schatte war damals noch nicht lange in Frankfurt und kannte noch nicht sehr viele Leute. Bei jener Besetzung war auch gar nicht er der Wortführer. Ruff war es, Tobby Ruff. Aber als der alte Professor in das Gedränge geriet, wusste Schatte, dass das seine Chance war. Seine Chance, zu zeigen, wie man die Leute in den Griff bekommt. Wie man mit ihnen reden muss, damit sie tun, was sie eigentlich nicht tun wollen . . . Er hat es mir erzählt, als wir im Fernsehen ein Fußballspiel angesehen haben, irgendwann so um 1971, die Nationalmannschaft spielte, ich weiß nicht
mehr gegen wen, es gab einen Freistoß, der deutsche Mannschaftskapitän legte sich bedächtig den Ball zurecht, und dann kam – glaub ich – der junge Netzer und lief an dem Kapitän vorbei und haute den Ball ins Netz . . . Genau so hab ich das damals auch gemacht, sagte Schatte zu mir. Die Chance genützt. Gezeigt, was ich draufhabe.«
Birgit steht auf und geht zur Schrankwand, in der hinter einer gläsernen Schiebetür eine kleine Bar eingebaut ist. »Den Tee haben Sie abgelehnt. Trinken Sie vielleicht einen Whisky mit? Ich brauche einen.«
Sie wartet nicht auf seine Antwort, sondern schenkt zwei Gläser ein, beide mehrere Fingerbreit hoch. Sie kommt zurück und gibt Berndorf sein Glas. »Sagen Sie bloß nicht cheers , oder so etwas«, sagt sie und nimmt einen Schluck, noch im Stehen. »Natürlich muss ich Ihnen nichts erzählen«, fährt sie fort, als sie wieder in ihrem Sessel sitzt. »Und mein Leben geht Sie auch gar nichts an. Aber dass Schatte der widerlichste Mensch ist, den ich je gekannt habe, das kann jeder wissen.« Sie nimmt einen zweiten Schluck. »Sie kommen doch wegen der Schießerei bei der kleinen Sinheim? Und Sie wissen auch, dass dieses Mädchen in den Überfall auf diese Bank verstrickt war. Aber jetzt sage ich Ihnen etwas, was Sie nicht wissen. Diesen Überfall – den hat Schatte organisiert. Niemand anderes.«
Schrappend schiebt der Drucker die Seiten mit dem Aufsatz heraus, den ein früherer Präsident des Bundeskriminalamtes über die bleierne Zeit geschrieben hat, Tamar greift sich die Blätter und liest sie, als handle der Text von einem fremden unbekannten Land. Zwar kommen Namen in dem Aufsatz vor, von denen sie schon gehört hat, und Ortsangaben, aus denen klar hervorgeht, dass das Beschriebene offenbar in der wirklichen Bundesrepublik stattgefunden hat, jedenfalls in der, die man so auch im Autoatlas findet, aber dieses Land hat nichts mit ihr zu tun, oder doch? Es ist so fern wie jener Mann mit dem eingeschweißten Lächeln, und doch war sie es gewesen,
die ihm einen Blumenstrauß hatte überreichen müssen, der Mann war auf seine Weise Teil der bleiernen Zeit, dieser und wohl auch einer anderen davor. Ihr fällt das Spiel ein, wie viel Hände musst du schütteln, bis du bei Elvis Presley bist oder beim Dalai Lama oder dem Tellerwäscher Raoul Gonzalez in Miami . . .
Eine Hand nur, und Tamar ist bei der Nazi-Marine, und wiederum nur eine Hand, und Tamar ist bei einem, der auch dabei war, als es 67 Tote und 230 zum Teil schwer verletzte Menschen auf beiden Seiten gab, wie der frühere
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