Die schwarzen Raender der Glut
hatte ich nicht dazwischen.«
»Ich frage, weil ich mir überlegt habe, ob Ihre Beziehung zu Schatte deswegen in die Brüche gegangen ist.«
»Nein«, antwortet Birgit entschieden. »Nicht deswegen.« Ein kleines, verächtliches Lächeln zieht über ihr Gesicht. »Eine Erinnerungsnummer mit der kleinen Sinheim hätte mich nicht weiter gestört. Für die Bruchstelle hat ein französischer
Philosophie-Dozent gesorgt. Sehr französisch, sehr intellektuell, sehr viril. Leider hat Schatte, wie unsere 68er überhaupt, die Befreiung der Sexualität vor allem auf die der Männer bezogen. Dass ihnen dabei Hörner wachsen könnten, war im Fahrplan der Revolution nicht vorgesehen.« Sie nimmt einen Erinnerungsschluck. »Aber es gab da noch etwas, und ich erzähle es Ihnen weniger gern. Aber da es Schatte mehr betrifft als mich, sollen sie es ruhig wissen.«
Berndorf wartet.
»Es war einer dieser späten Abende in der Feuilleton-Redaktion, Schatte war ins Sinnieren geraten, sprach ins Halbdunkle, ich glaube, es ging darum, was wir tun sollen, wenn die revolutionäre Bewegung scheitert, und genau danach sah es schon damals aus ... Dann sind wir alle gefangen, sagte Schatte, im Netzwerk des Kapitalismus eingesponnen wie die Fliegen im Spätherbst, und je mehr wir zappeln, desto tiefer verstricken wir uns ins klebrige Spinnennetz der repressiven Toleranz, keiner soll da noch kommen und von Reformen reden oder von Veränderung! Da wäre es noch ehrlicher, gleich als Spitzel zur Polizei überzulaufen oder zum Verfassungsschutz. . .«
Berndorf versucht, sich nichts anmerken zu lassen.
»Mir war dieses Gerede ziemlich unangenehm«, fährt Birgit fort. »Aber ich hätte damals nicht sagen können, warum. Es lief darauf hinaus, dass es keinen Mittelweg gebe und dass nur der als freier Mensch überlebe, der sich mit einem unwiderruflichen Schritt ein für alle Mal vom Spinnensystem trenne . . .« Sie unterbricht sich und trinkt ihr Glas aus. Dann steht sie auf und gießt sich noch einmal ein. Fragend blickt sie zu Berndorf, aber dessen Glas ist noch voll.
»Wirklich peinlich ist nur«, sagt sie dann und lächelt ein wenig schief, »dass Schatte mich an einem der nächsten Tage nach Mannheim schleppte, vor eines dieser Bankhäuser auf den Planken, und mir tatsächlich sagte, ich solle aufschreiben, wann dort Geldtransporte angeliefert würden, und wie viel Begleitung dabei sei . . . Natürlich sträubte ich mich und sagte,
dass ich das nicht machen will, aber Schatte beschimpfte mich, was ich für eine blöde Zicke sei, jetzt sei endlich die Zeit gekommen, in der auch die Frauen ihren Beitrag für den revolutionären Kampf leisten könnten, und da solle ich mich doch nicht so anstellen. Ich glaube, ich bin eine halbe Stunde dort geblieben. Aber nach dem dritten Italiener, der mich anquatschte, bin ich spornstreichs zur OEG-Haltestelle gelaufen und zurück nach Heidelberg gefahren. Von da an war wirklich Schluss zwischen uns.«
Berndorf betrachtet das Glas mit dem Whisky, der ihm verlockend in die Nase steigt. Aber bisher hat er das Glas nicht angerührt. »Könnten Sie mir ein Taxi bestellen?«, fragt er unvermittelt. »Ich möchte nach Leimbach, zu Micha Steffens. Und ich hätte gerne, dass Sie mich begleiten.«
Birgit versucht einen Ansatz des silberhellen Lachens. Aber er bricht ab. »Wie käme ich dazu? Der Herr Steffens ist nun wirklich nicht mein gesellschaftlicher Umgang.«
Berndorf nickt. »Das weiß ich. Aber ich möchte, dass Sie vor ihm wiederholen, was Sie mir erzählt haben. Wir wollen die Sache aufräumen. Jetzt. Nach 28 Jahren ist es Zeit dazu.«
Die Sonne ist untergegangen, unter dem weiten blaugrauen Himmel bewegt eine Brise kühler Abendluft die Blätter des Birnbaums. Tamar und Hannah sitzen nebeneinander auf der Bank hinter dem kleinen Bauernhaus, das sie gemietet haben, und sehen dem Birnbaum und den Wolken und dem Windlicht auf dem Holztisch vor ihnen zu.
»Erzähl mir was«, sagt Hannah. Sie hat sich in ein Fransentuch eingehüllt, so, als ob sie fröstelt.
»Ich hab nichts zu erzählen«, antwortet Tamar. »Kuttler ist ganz happy, weil die tote Frau mit den 3,7 Promille vielleicht doch erst vorher eins auf den Schädel bekommen hat, bevor sie in die Badewanne gefallen ist, kannst du dir vorstellen, dass einen so etwas richtig glücklich macht? Morgen hab ich wahrscheinlich den ganzen Tag Vernehmungen deshalb . . .«
Hannah sagt nichts.
»Und in der Geschichte mit dem heruntergefallenen
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