Die schwarzen Raender der Glut
sich ein Menü zusammen, dessen Intonation den Beifall des Obers findet, und erstmals muss Berndorf daran denken, dass er niemand hat, dem er die Spesen zur Erstattung vorlegen kann. Zwischen Antipasti und Tagliatelle mit Hummerragout beginnt Birgit, Berndorf zu examinieren. Wer er wirklich sei und was ihn treibe, einer Geschichte nachzugehen, die bald drei Jahrzehnte zurückliegt. Berndorf gibt höflich und zurückhaltend Antwort, verschweigt aber nicht, welche Rolle er gespielt hat . . .
»Versteh ich das recht – Sie sind es, der diesen Iren auf dem Gewissen hat?« Birgit muss dazu lachen und spült das Lachen mit einem Schluck des Soave herunter, den sie sich hat empfehlen lassen. Berndorf bleibt beim Mineralwasser.
Er antwortet nicht. »Macht nichts«, meint Birgit. »Wir haben doch alle eine Leiche im Keller, das bringt das Leben so mit sich. Hauptsache, man bleibt anständig. Hat Himmler gesagt. Santé.« Sie trinkt ihr Glas aus, und Berndorf schenkt nach. Birgits Gesicht ist gerötet, und die Bäckchen unter den Augen leuchten prall.
Mein Gott, denkt Berndorf. Noch eine Stunde, und ich sitze mit einem betrunkenen menschengroßen Hamsterweibchen zusammen.
»Wissen Sie, wir wohnen in einem alten Bauernhaus«, sagt Tamar zu dem dunkelhäutigen Arzt, »mit Balken, die an den unmöglichsten Stellen herunterhängen . . .«
»Ein Balken, aber sicher doch«, sagt der Arzt und wirft einen nachdenklichen Blick auf Hannah, die klein und verzweifelt neben Tamar sitzt und ihr die Hand hält. Der Arzt ist vermutlich ein Pakistani, denkt Tamar, ganz sicher kenn ich ihn, nur weiß ich beim besten Willen nicht, woher, vielleicht ist in meinem Kopf doch etwas durcheinander gewirbelt . . .
»Nein«, sagt der Arzt, den Hannah irgendetwas gefragt haben muss, »eine Computertomographie ist jetzt wirklich nicht angezeigt . . .«
»Allerdings nicht«, sagt Tamar, »glaubst du, ich lass mich in eine solche Röhre stecken?« Entschlossen steht sie auf. »Nein«, rufen unisono Hannah und der Arzt, im Spiegel über dem Handwaschbecken des Ambulanzraumes taucht eine geisterhafte Gestalt auf, überkrönt von einem weißen Turban, und starrt Tamar bleich ins Gesicht.
Und schon wieder kippt sie hinweg, der Boden kommt auf sie zu, es ist ein Waldboden, sie stürzt den Albtrauf hinab, gleich wird sie aufschlagen und verrenkt daliegen wie ein verbogenes Hakenkreuz . . .
»Strikte Bettruhe, Verehrteste«, sagt der Pakistani, der sie gerade noch aufgefangen hat.
Es ist ein später, aber milder Abend geworden. Die Oberstudienrätin Birgit Höge und Berndorf gehen durch die kleine Stadt Leimbach, sie hat sich bei ihm eingehängt, ist aber im Laufe der letzten Stunde nicht erkennbar betrunkener geworden. Sie gehen zu der Gasse, die zu Steffens Haus und Anzeigenladen führt, ein Paar beim abendlichen Bummel, das sich auch nicht weiter stören lässt, als sich vom Rathaus röhrend ein Wagen nähert, es ist ein älterer BMW, der in die Seitenstraße einbiegt, wer in dem Wagen sitzt, ist nicht zu erkennen, zu erkennen ist das Heidelberger Kennzeichen.
Es ist eines der Kennzeichen, die 88 als Ziffern haben.
Berndorf geht langsam weiter, im Arm hängt ihm noch immer die Oberstudienrätin. Das Röhren des BMW bricht ab. »Ein aufregender Abend«, sagt Birgit, »nun hat man mich doch tatsächlich auf meine alten Tage entführt und beschwipst gemacht, und ich kann nicht einmal zur Polizei gehen, weil mein Entführer selber eine Bulle ist. Oder war.« Als sie Bulle sagt, fällt ihre Stimme ins Gurren.
»Hören Sie gut zu«, sagt Berndorf eindringlich, aber so leise, wie es gerade noch möglich ist, um Birgits Ohr zu finden. »Ich habe etwas gesehen, was nach Ärger aussieht. Tun Sie mir einen Gefallen? Gehen Sie bitte in das Restaurant zurück, trinken Sie noch einen Espresso oder einen Grappa, und wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin und auch nicht angerufen habe, verständigen Sie bitte die Polizei. Sagen Sie, es hat einen Überfall gegeben.
»Das kommt nicht in Frage«, erklärt Birgit. »Sie haben mich entführt und hierher geschleppt, und jetzt stellen Sie mich gefälligst nicht ab wie einen Regenschirm, den man doch nicht braucht. Ich gehe jetzt mit Ihnen mit . . .« Plötzlich kichert sie. »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen . . .«
»Sie wissen nicht, worauf Sie sich einlassen«, antwortet Berndorf und macht seinen Arm los. Sie greift sich ihn wieder.
»Seien Sie nicht so unritterlich. Wenn wir hier
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