Die schwarzen Raender der Glut
. . .
Sie erreichen die Kammlinie, Berndorf hebt die freie, die nicht mit der Krücke beschäftigte Hand. Mueller gibt halblaut Anweisungen durch sein Sprechfunkgerät, aus der Ferne nähert sich das Brettern eines Hubschraubers. Von Baum zu Baum rücken die Schwarzuniformierten vor in Richtung auf Fels und Gemäuer, die grau durch Laub und Dämmerung schimmern. Hasserfüllt kreischt der Häher auf.
Für einen kurzen erschrockenen Augenblick herrscht Stille. Dann bellen Lautsprecher durch den Wald: Die Polizei ist hier, kommen Sie heraus, kommen Sie mit erhobenen Händen. . . Berndorf kennt diese Szenen, er verabscheut sie, der Anblick des Tieres in der Falle ist um nichts weniger schrecklich, wenn das Tier ein Mensch ist.
Die Lautsprecher schweigen. Zwischen dem grauen Gemäuer rührt sich nichts. Links von Berndorf löst sich ein Schwarzuniformierter von dem Baum, hinter dem er in Deckung stand.
Hart und trocken schlägt der Feuerstoß einer Maschinenwaffe durch die Stille. Links und rechts von Berndorf klatschen Kugeln in Baumstämme und splittert Holz. Ratternd antworten Maschinenpistolen. Über ihnen kreist der Hubschrauber und tastet mit Suchscheinwerfern den Steinhügel ab, der vor ihnen liegt. Männer treten einen knappen Schritt aus ihrer Deckung und feuern Tränengasgranaten ab und springen wieder zurück, denn immer neue Salven fegen über den Hügelkamm. Nebelschwaden wabern um das Gemäuer, hüllen es ein und ziehen durchs Gehölz, wer immer dort drinnen ist, wird jetzt herauskommen müssen, denkt Berndorf, aber erst dringt ein schmetternder, ein die Luft und den Hügel erschütternder Schlag zu ihnen her, der schmetternde Schlag kommt vom Westen, von dort, wo der Lingekopf ist und der Friedhof der Toten ohne Begräbnis . . .
Tamar und Hannah frühstücken im Bett, auch wenn es schon zehn Uhr ist, aber für ein Frühstück im Garten ist es zu windig und zu kühl. Tamar hat den Turban abgenommen, ein größeres Pflaster deckt die zusammengenähte Platzwunde ab. Im Radio kommt eines der Klavierkonzerte von Mozart, das Tamar liebt, sie sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Bett und löffelt ein halbweiches Ei, während sie gleichzeitig die Nackenlinie von Hannah betrachtet, die sich halb zur Seite gewandt hat und in der Zeitung liest. Dieser Tag kann so bleiben, denkt Tamar, aber da ist das Klavierkonzert leider auch schon aus, es kommen Nachrichten . . .
... Straßburg. Ein Sprengstoffanschlag überschattet den deutschfranzösischen Regierungsgipfel. Wie die französische Polizei mitteilte, ist die Krieger-Gedenkstätte auf dem Lingekopf in den frühen Morgenstunden durch eine ferngezündete Bombe schwer beschädigt worden. Menschen kamen dabei nicht zu Schaden. Zwei Tatverdächtige, ein Deutscher und ein Nordafrikaner, werden derzeit von den Sicherheitsbehörden verhört. An der Gedenkstätte auf dem Lingekopf, einem der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs mit 30 000 deutschen und französischen Toten, hätte der Bundeskanzler heute Nachmittag einen Kranz niederlegen sollen . . .
»Das war aber knapp«, sagt Hannah. »Meinst du, die hatten es auf den abgesehen . . .?«
»Weiß nicht«, antwortet Tamar. »Ich stell mir den nicht gern als Märtyrer vor . . .«
»Wo steckt eigentlich dein Berndorf? Wollte der nicht ins Elsass?«
Tamar lässt den Eierlöffel sinken und blickt nachdenklich zu Hannah.
Vom Fußboden neben dem Bett quäkt es. Tamar entknotet ihre Beine und schwingt sie über den Bettrand und nimmt das Handy hoch. »Ja?«
»Haben Sie noch Ihren Draht zu diesem Abgeordneten?«
Tamar macht ein Geräusch, das entfernt an ein Grunzen erinnert. »Worum geht es denn? Und wo stecken Sie überhaupt?«
»Im Augenblick in Freiburg. Aber nicht lange. Am Nachmittag bin ich wieder im Gäu, vielleicht auf der Alb. Was ist mit diesem Politik-Menschen? Können Sie ihm etwas ausrichten?« Tamar steht auf und geht zu dem kleinen Tisch, der am Fenster zwischen den schrägen Wänden steht, und findet dort nicht nur einen Malblock, sondern auch einen Tuschestift, um mitzuschreiben.
»Du ruinierst mir mein Handwerkszeug«, rügt Hannah, als das Gespräch beendet ist. »War das Berndorf?«
»Ja«, antwortet Tamar. »Und entschuldige.« Kurz zögert sie. »Da ist noch was. Ich möchte dich bitten, jetzt nicht mit der Teekanne zu werfen, und auch bitte nicht mit dem Brotmesser. Ich muss Kerstin anrufen . . .«
Berndorf schaltet das Handy aus und steckt es ein. Dann steigt er aus dem Peugeot, den
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