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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Badezimmer.«
     
    »Es ist so«, sagt Kerstins Stimme und windet sich durch den Hörer, »ich habe mit Giselher gesprochen, nur ist da ein Problem. . .«
    »Natürlich ist da ein Problem, deswegen hab ich dich ja angerufen«, antwortet Tamar ungehalten. Sie sitzt in ihrem alten Ledersessel, und auf dem Fußboden vor ihr liegt, die aufgeschlagenen Seiten nach unten, nun schon der dritte Kriminalroman, den sie zu lesen angefangen hat . . .
    »Giselher würde es vorziehen, wenn ihr euch direkt an das baden-württembergische Innenministerium wenden würdet. . .«
    Tamar nimmt das Handy von ihrem Ohr und betrachtet es, als wolle sie es gegen die Wand werfen. Das ist aber die reine Hundescheiße, Schätzchen, die dir aus dem Mund läuft. Sie atmet tief durch. »Wenn wir das Innenministerium einschalten«, sagt sie und versucht, ihre Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen, »dann können wir genauso gut die Leute direkt anrufen, die diese Schweinerei angezettelt haben. Diese Sache muss die Bundesanwaltschaft übernehmen, sonst wird sie vertuscht, aber nur ihr könnt euch Knall und Fall an Karlsruhe wenden.« Sie steht auf, und plötzlich ist ihr egal, wie ihre Stimme klingt. »Ihr habt euch wählen lassen, ihr habt diese gottverdammten Privilegien, jetzt tut auch was! Wenn ich bei einem Bundesanwalt anrufe, wimmelt mich der ab und verweist mich auf den Dienstweg . . .«
    »Ich versteh dich ja . . .«
    »Gar nichts verstehst du! Vielleicht ist es für Wuppertal-Nord eine Petitesse, aber wenn die französische Polizei nicht vorher zugegriffen hätte, wären die Regierungschefs von Frankreich und Deutschland in die Luft geflogen, nicht bloß ein paar Totenschädel und Blindgänger. Stell dir das mal vor, unser Kanzler in einem seiner schönen Anzüge bei der Kranzniederlegung,
und plötzlich sind von dem Brioni-Anzug und dem Kranz und dem ganzen Mann nur noch hunderttausend kleine Fitzelchen übrig . . .«
    »Giselher sagt, das mit dem Attentat sei nicht bewiesen«, wendet Kerstin ein. »Vielleicht hat der Anschlag nur der Gedenkstätte gegolten . . . Du musst das verstehen. Giselher hat eine besondere, eine herausgehobene Vertrauensstellung, er kann nicht einfach ein einzelnes Bundesland bloßstellen, noch dazu in einer so emotional aufgeladenen Situation wie eben jetzt, morgen oder übermorgen braucht der Kanzler vielleicht schon wieder die baden-württembergischen Stimmen im Bundesrat. . .«
    Tamar bleibt stehen. Sie betrachtet das Handy, aus dem noch immer Kerstins Erklärungen blechern. Entschlossen drückt sie auf die Aus-Taste.
    »Enttäuscht?«, fragt Hannah.
    »Du halt dich da raus!«
     
    Wie einen nassen Sack schleppen Dülle und Shortie den leblosen Körper Grassls durch den Alten Stall und werfen ihn in den Verschlag. Grassl bleibt auf dem Boden liegen, er fühlt sich blutleer im Kopf und zu schwach, um auf die Koje zu kriechen. Noch immer weiß er nicht, ob er nicht besser dort unten bleiben wird, für immer, in dem Land, in dem das Licht so unwirklich scheint und er Dinge und Menschen sieht, die er schon lange nicht mehr gesehen hat, nicht alle will er sehen . . .
    Seine Mutter nicht, wie sie im Badezimmer ist und der Butzi Bullinger diese Dinge mit ihr tut, aber gleich ist es vorbei, er muss es nur wollen, und er sieht wieder die Mädchen im Schulhof beim Seilhüpfen, und gleich darauf dieses andere Mädchen, wie es sich den BH auszieht und sich umdreht und zu ihm hersieht, oder jedenfalls zu den Jalousien, die nicht ganz heruntergelassen sind, dann verschwindet das Bild . . .
    Irgendwer will schreien, aber er hat keinen Atem, nur ein krampfendes Keuchen, er selbst ist es, der so keucht, und wieder drücken Shortie und Dülle ihn nach unten, er spürt den
Griff noch, mit dem sie ihm die Arme auf den Rücken drehen, und plötzlich fällt er nach unten, immer tiefer ins weiche Wasser, das glatt und kühl ist und ihn aufnimmt und davonträgt und die Bilder vorbeiziehen lässt . . .
    Dann läuft das Wasser ab, betrügt ihn, wie ihn alle betrügen, und lässt ihn zurück wie einen an den Strand gespülten, nach Luft schnappenden Fisch. Bald werden sie wieder kommen, aber nun wird er sie doch noch einmal austricksen, er tastet nach dem Gürtel an seiner Hose, der Gürtel ist noch da, damit müsste es gehen, oben an einer Querlatte.
    Grassl versucht aufzustehen. Mühsam stemmt er sich an der Koje hoch. Dann hält er inne. Leise öffnet sich die Türe des Alten Stalles. Und schließt sich rasch wieder.

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