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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Nachbarhaus verschnürt ein Mann das Kaminholz, das an seiner Hauswand aufgeschichtet ist. Berndorf geht zu ihm hin und blickt fragend.
    »Wir bekommen Sturm«, erklärt der Mann, »in den Atlantikhäfen sind schon jede Menge Schiffe abgesoffen. Bis zum Nachmittag ist er hier.«
    Berndorf klingelt ein zweites Mal. Nichts versäumen, hatte er gedacht und war mit seinem gemieteten Peugeot von Freiburg
hinauf in den Schwarzwald nach St. Märgen gefahren, wo Professor Ernst Moritz Schatte seinen Wohnsitz hat.
    »Der ist nicht da«, sagt der Mann und hält die zwei Enden eines Seils, von dem er nicht weiß, wo er es anbinden soll. »Der ist schon vor zwei Stunden weg, ziemlich eilig.«
    »Na ja«, sagt Berndorf friedvoll, »er hat ja auch das richtige Auto, um damit eilig zu sein.«
    »So, wie es heute auf den Straßen zugeht, ist der auch nicht schneller als ich mit meinem alten Benz.«
    »Professor Schatte lebt allein?«
    Der Mann wendet sich wieder dem Kaminholz zu. »Das müssen Sie ihn schon selber fragen. Wir kennen uns nur vom Sehen . . .«
     
    Diesmal kein hölzerner Lehnstuhl. Es ist eines der stilvoll rissigen Lederfauteuils in Zundts altem Arbeitszimmer. Und festgebunden ist Grassl diesmal auch nicht.
    Er ist unrasiert. Er hat Hunger und, vor allem, Durst. Sein Kopf schmerzt, und er kann seinen Hals kaum bewegen. Er ist schwach und kraftlos. Sie haben ihn nicht festgebunden, weil es nicht mehr nötig ist.
    Am Morgen hat er draußen vor dem Alten Stall die Stimme der Hohen Witwe gehört. Er hat nicht um Hilfe gerufen. Warum sollte er? Ihm wird niemand helfen. Der Hausmeister Freißle nicht, der schon gar nicht, außerdem haben sie ihn vermutlich weggeschickt. Seinem Bruder – gluck, gluck – bei der Ernte helfen. Dass die Hohe Witwe noch da ist, bedeutet nur eines. Sie steckt mit den anderen unter einer Decke. Vielleicht hat sie den Alten sogar umbringen lassen, und Kai mit dem Feuermal ist ihr Killer.
    Wenn sie aber den Alten umgebracht hatten – was haben sie dann wohl mit ihm vor? Verblüfft hat er festgestellt, dass ihn dieser Gedanke befremdet. Gewiss kann es passieren, dass man in einen finsteren Verschlag gesteckt wird. Ihm ist es passiert. Dass man geschlagen wird. Auch das ist mit ihm passiert. An das andere will er nicht denken, nicht jetzt. Aber dass
man am Ende umgebracht wird? Hier in Deutschland? Dass sie einen ersäufen? Erwürgen? Oder einem die Kugel geben? Das kann nicht wirklich sein, das ist schlechtes Kino, und auch im Kino gibt es einen, der dann doch noch dazwischengeht. . .
    »Sie wollen mir jetzt sagen, wo die Liste ist«, sagt der Mann hinter dem Schreibtisch. Grassl hat den Professor Ernst Moritz Schatte vom ersten Augenblick an nicht leiden können, allein schon der im Nacken und über den Ohren ausrasierten Haare wegen, einmal mehr weiß er, dass mensch dieser allerersten Einschätzung trauen darf und muss, wahrscheinlich ist es Teil seines genetischen Erbes, dieser Durst ist unerträglich . . .
    »Ich weiß nichts von einer Liste«, antwortet Grassl heiser, fast tonlos, »könnten Sie mir nicht eine Tasse Kaffee bringen lassen?«
    »Tote brauchen keinen Kaffee mehr, Grassl«, antwortet Schatte. »Und Sie sind tot. Nur dass Sie noch nicht den Schlaf der Toten schlafen dürfen. Sie werden noch darum betteln.« Schatte lehnt sich in Zundts Sessel zurück. Seine Finger trommeln ganz leicht auf die lederne Schreibtischunterlage.
    Das sieht nicht souverän aus, denkt Grassl. Deutsche Professoren tun so etwas nicht.
    »Natürlich haben Sie die Liste«, fährt Schatte fort. »Wie hätten wir Sie sonst erwischt? Überlegen Sie doch. Sie sind zu Bankern gegangen, die auf Zundts Liste standen. Und dann haben die bei uns angerufen und rückgefragt. Ist ja verständlich. Da haben sie jahrzehntelang für Zundt geblecht, und jetzt kommt eine halbe Portion wie Sie und will auch kassieren. Da hätte ich auch wissen wollen, wer hier eigentlich die Hand aufhalten darf . . . So, und jetzt höre ich.«
    »Es gibt keine Liste«, will Grassl sagen, aber seine Stimme hat zu funktionieren aufgehört. Er macht einen neuen Anlauf, und krächzend bringt er etwas heraus, das so ähnlich klingt wie »keine Liste«, heiser und missgebildet ist die Stimme, aber sie ist wieder da, »weiß von keiner. Banker habe ich ausgerechnet. Einen Kaffee bitte, oder Wasser . . .«

    »Wasser möchte er«, sagt Schatte und winkt Dülle, der weiter hinten an einem Bücherregal lehnt. »Hol Shortie, und geht mit ihm ins

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