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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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das sich nach »Moment!« anhört.
    Einige Minuten später erscheint im Laden ein mittelgroßer Mann, geht zur Tür und schließt sie auf. Er trägt Jeans und ein T-Shirt, auf dem sich ein Che-Guevara-Porträt gerade noch ahnen lässt, hat einen Drei-Tage-Bart und das schüttere angegraute Haar hinten zu einem kümmerlichen Zopf gebunden.
    Aus flinken braunen Augen mustert er Barbara und Berndorf, wobei er Ersterer entschieden mehr Beachtung schenkt. Berndorf stellt Barbara und sich vor und wiederholt seine Geschichte von der Annonce, die sie dringend aufgeben müssten. Selbstverständlich würden sie gleich bezahlen.
    Mit einer Kopfbewegung bittet der Mann sie herein, geht zu dem Computer hinter dem Verkaufstresen und schaltet ihn ein.
    »Eigentlich wollte ich Fußball gucken«, sagt er zu Berndorf und deutet mit dem Daumen nach oben zu seiner Wohnung. »Aber das Gegurke ist im Kopf nicht auszuhalten. Also wenn Sie mich fragen, dann hat es seit dem Wembley-Spiel von 1972 keine wirklich gute deutsche Mannschaft mehr gegeben.« Dann will er wissen, für welche Rubrik die Anzeige bestimmt ist.
    »Für Verschiedenes«, sagt Berndorf. »Wir hätten es gern etwas größer, sodass es ins Auge springt.«
    Er werde einen Entwurf machen, sagt der Mann und klickt das Anzeigenprogramm an. »Also?«
    Barbara hat sich inzwischen einen Block genommen und schreibt den Text auf. »Sie sind ein ahnungsvoller Mensch«, sagt sie und lächelt, als sie den Zettel abreißt und ihn über den
Tresen schiebt. »1972 muss ein besonderes Jahr gewesen sein. Es ist auch unser Stichwort.«
    Che Guevara nimmt den Zettel und liest ihn.
    Mannheim, Juni 1972. Wer weiß etwas über den Verbleib der silbernen Kette? Vertrauliche Hinweise, auch auf andere Vorgänge im Umfeld der Zeitung »Aufbruch«, erbeten unter Chiffre . . .
    »Ort und Datum hätte ich gern gefettet«, sagt Barbara. »Auch die silberne Kette sollte herausgehoben werden. Das Ganze vielleicht zweispaltig?«
    Der Mann blickt vom Tresen zu ihr hoch. »Sie wissen schon, dass wir in Mannheim nicht erscheinen? Unser Verbreitungsgebiet ist der südliche Rhein-Neckar-Kreis.«
    »Dann ist es genau richtig«, meint Barbara.
    Che Guevara wendet sich dem Computer zu. Dann kehrt sein Blick zurück, wandert von Barbara zu Berndorf und bleibt dort hängen. »Wollen Sie keine Belohnung aussetzen?«
    »Warum nicht?«, fragt Barbara zurück. »Was kann man da anbieten? Ich nehme an, das sollte sich nach dem Wert der Kette richten. Oder was damit verbunden ist. Aber sehen Sie, diesen Wert kennen wir noch gar nicht.«
    »Sie sind der Kunde«, meint Guevara. »Aber warum schreiben wir nicht einfach: Hohe Belohnung zugesichert ?« Ohne eine Antwort abzuwarten, gibt er es ein, dann sieht er auf und lächelt schief. »Freilich ist es ein bisschen hochstaplerisch, finden Sie nicht? Ausgediente Polizisten haben es meines Wissens nicht so üppig.« Beruhigend hebt er die Hand und sieht Berndorf an. »Kein Vorwurf. Unsereins muss auch knapsen.«
    »My dear Watson«, sagt Berndorf. Barbara lacht. Dann will sie eine Erklärung haben.
    »Bitte sehr«, sagt Che Guevara. »Ein Blinder mit Krückstock kann sehen, dass Ihr geschätzter Begleiter – entschuldigen Sie bitte den Ausdruck – ein Bulle ist. Einzige Frage: Ist er einer, oder war er einer? Sie, schöne Dame, sind nicht von der Polizei. Also ist er nicht dienstlich bei mir. Überhaupt kommen in dieser Sache nur Bullen zu mir, die keine mehr sind. Also?«

    »Ich dachte«, bemerkt Berndorf kleinlaut, »ich sei erst der zweite.«
    »Bingo«, sagt Guevara. »Übrigens, meine Name ist Steffens, und wie es der Zufall will, war ich 1972 Anzeigensetzer beim Aufbruch . Anzeigensetzer und Filmkritiker, nebenbei bemerkt. Und das will auch nicht der Zufall, sondern eben deshalb sind Sie zu mir gekommen. Wie hieß noch Ihr anderer Kollege?«
    »Troppau«, sagt Berndorf. »Wilhelm Troppau.«
    »Richtig. Und was glauben Sie, was ich von all diesen Besuchen denken soll?«
    »Erzählen Sie es uns?«
    Steffens sieht sich um. »Gehen wir nach nebenan«, sagt er dann und führt seine Besucher in ein kleines fensterloses Kabuff. Zwischen Rollschränken, die so voll gestopft sind, dass sie sich nicht mehr schließen lassen, finden sich zwei Holzstühle für die Besucher. Steffens knipst eine Tischlampe an, dann löscht er die Deckenbeleuchtung und nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz, auf dem sich Abrechnungen und Druckvorlagen stapeln. In dem Kabuff ist es dämmerig, und es

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