Die Schwarzen Roben
Tong-Attentäter«, vermutete er, »dessen Ziel eigentlich Lady Mara war.«
Chumakas Gesicht blieb weiterhin ausdruckslos. »So steht es klar und deutlich in dem Papier in Eurer Hand.«
Jetzt neigte Lord Jiro den Kopf; er lachte leicht in einer Anwandlung von Großmut. »Ich akzeptiere die Lehrstunde, Erster Berater. Doch statt diese Neuigkeit wie eine Peitsche dafür zu benutzen, mich anzuweisen, möchte ich jetzt hören, welche Schlüsse Ihr daraus gezogen habt. Der Sohn meiner Feindin war immerhin ein Blutsverwandter. Diese Nachricht macht mich wütend.«
Chumaka kaute auf dem Daumennagel, den er nicht schärfte. Seine Augen hielten inne, um die Ziffern auf dem Blatt in seiner Hand zu analysieren, während er über die Aussage seines Herrn nachdachte. Jiro zeigte, entsprechend tsuranischer Tradition, keinerlei äußere Gefühle; wenn er also erklärte, daß er wütend war, mußte man seinen Worten glauben. Die Ehre verlangte, daß der Diener dem Herrn Glauben schenkte. Doch Jiro war weniger wütend als vielmehr aufgebracht, erkannte Chumaka, was für Mara nichts Gutes bedeutete. Noch zu jung als Herrscher, um die Wohltat einer Verbindung zwischen den Anasati und den Acoma erfassen zu können, war Jiro unfähig, einen Zustand gegenseitiger Nichteinmischung zuzulassen.
Die Stille, die entstand, während der Erste Berater grübelte, zerrte an Jiros Nerven. »Wer?« wollte er gereizt wissen. »Welcher von Maras Feinden wünscht ihren Tod? Wir könnten uns einen neuen Verbündeten schaffen, wenn wir kühn wären.«
Chumaka lehnte sich zurück und seufzte tief. Hinter seiner schwer geprüften Geduld verbarg sich Faszination für die unerwartete Wendung der Ereignisse, wie Jiro bemerkte. Der Erste Berater der Anasati war so verliebt in die tsuranische Politik wie ein Kind, das nach Süßigkeiten grabscht.
»Ich erkenne mehrere Möglichkeiten«, räumte Chumaka ein. »Doch denjenigen Häusern mit dem nötigen Mut fehlen die Mittel, und die mit den Mitteln besitzen nicht den Mut. Den Tod einer Guten Dienerin des Kaiserreiches herbeiführen zu wollen ist bisher … beispiellos.« Er kaute auf der Unterlippe, dann winkte er einen der Diener herbei und trug ihm auf, die Dokumente in Stapeln zu verpacken und in seine Privaträume bringen zu lassen. Schließlich erbarmte er sich Jiros Ungeduld. »Ich nehme an, daß Mara von den Hamoi Tong angegriffen wurde.«
Jiro überließ die Nachricht mit einem spöttischen Lächeln seinem Ersten Berater. »Natürlich waren es die Tong. Aber wer bezahlte für ihren Tod?«
Chumaka erhob sich. »Niemand. Das ist es, wodurch es so elegant wirkt. Ich glaube, die Tong handelten aus eigenem Antrieb.«
Jiro zog überrascht die Stirn in Falten. »Aber weshalb? Was könnten die Tong erreichen, wenn sie Mara töten?«
Ein Läufer erschien am Laden, der zum Haupttrakt des Hauses führte. Er verneigte sich, doch bevor er sprechen konnte, erriet Chumaka den Grund seines Kommens. »Herr, der Hof ist versammelt.«
Jiro winkte den Diener fort, als er sich von den Kissen erhob. Während der Herr und sein Erster Berater nebeneinander auf die Halle zugingen, in der der Lord der Anasati seine Geschäfte vollzog, sinnierte Jiro laut vor sich hin. »Wir wissen, daß Tasaio von den Minwanabi die Hamoi Tong dafür bezahlt hat, Mara zu töten. Glaubt Ihr, er hatte sie auch dafür bezahlt, Rache zu üben, falls er stürzen sollte?«
»Möglich.« Chumaka zählte einzelne Punkte an den Fingern ab, eine Angewohnheit, um seine Gedanken zu ordnen. »Rache der Minwanabi könnte erklären, warum die Tong nach Monaten vollkommener Ruhe scheinbar aus dem Nichts zuschlugen.«
Jiro hielt in den Schatten des Flures an, von dem die Doppeltüren sich zur großen Halle öffneten. »Wenn die Tong aufgrund eines Versprechens handelten, das sie Tasaio vor seinem Tod gegeben haben, werden sie es dann noch einmal versuchen?«
Chumaka zuckte mit den Schultern; seine spitzen Schultern hoben sich wie Zeltstäbe unter der türkisfarbenen Seidenrobe. »Wer weiß das schon? Nur der Obajan der Hamoi kann es wissen; er allein hat Zugang zu den Niederschriften mit den Namen derjenigen, für deren Tod bezahlt worden ist. Wenn die Tong Maras Tod geschworen haben … werden sie nicht aufgeben. Wenn sie nur zugestimmt haben, einen Versuch zu unternehmen, haben sie ihre Verpflichtung erfüllt.« Er gestikulierte in reuevoller Bewunderung. »Die Gute Dienerin besitzt das Glück der Götter, werden einige sagen. Bei allen anderen
Weitere Kostenlose Bücher