Die Schwarzen Roben
Gründen der Ehre zugeschlagen hatten, würden sie es jetzt tun, um zu überleben. Arakasi würde nur Minuten vor den Attentätern bei Kamlio sein, um sie retten zu können. Wenn er einen seiner neuen Mittelsmänner in Ontoset fand, konnte er seine kostbare Bürde übergeben, doch er durfte keinen Moment vergeuden. Sobald bekannt wurde, daß der Mörder des Obajan eine Verbindung zu Kamini gehabt hatte, würde die Bruderschaft Untersuchungen anstellen, den Weg zurück vom Herrenhaus zum Sklavenhändler verfolgen, zu der überlebenden Zwillingsschwester. Sie würden Leichen am Wegrand zurücklassen. Wenn ihre Agenten in Kentosani eher Bescheid erhielten, als er Kamlio fortschaffen konnte …
Schwitzend beschleunigte Arakasi sein Tempo, durch Felder und Gärten hindurch und die festgetretene Erde eines Wildtierpfades entlang, der in die Richtung einer Durchgangsstraße führte. Wenn er jetzt doch bloß eines von Hokanus verfluchten Pferden haben könnte …
Selbst in der Gewißheit seiner Verpflichtung gegenüber Mara hatte er es doch auch aus eigenen Gründen eilig. Arakasi wurde von einem seltsamen Hochgefühl erfaßt, als hätte er jetzt erst begriffen, daß er lebte. Sein wahnwitziger Anschlag auf den Obajan war erfolgreich gewesen, und er hielt die Aufzeichnungen der Tong in seinen Händen. Der Sieg machte ihn schwindlig. Die harte Straße unter seinen Füßen, die schmerzenden Splitter in seiner Haut, das Brennen bei jedem mühsamen Atemzug – das alles waren Empfindungen, die er innerlich bejubelte. Ein Teil seines Bewußtseins erkannte, daß es die Wirkungen der Drogen waren, die er genommen hatte, doch er wußte auch, daß diese übernatürliche Wahrnehmung von der Entdeckung dessen herrührte, was wirklich für ihn auf dem Spiel stand.
Als er durch die Nacht eilte, untersuchte er diese Offenbarung. Als Sohn einer Frau der Ried-Welt hatte er die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau niemals als etwas Geheimnisvolles betrachtet. Er hatte immer mit seinem Verstand gelebt, mit seiner Wahrnehmung und seinen Fähigkeiten, die er aus einem ausgewogenen Beobachten seiner Mitmenschen erhielt. Er hatte Maras Verbindung mit dem Barbaren Kevin gesehen und war fasziniert gewesen. Er hatte das Feuer in den Augen seiner Herrin als weibliches Bedürfnis nach der Romantisierung von Beziehungen gedeutet. Warum sonst sollte sie die Last und Mühe einer Schwangerschaft auf sich nehmen? hatte er kühl geschlossen.
Doch jetzt, als er so schnell rannte, daß ihm schier das Herz zu zerspringen drohte, schnürten ungeweinte Tränen ihm die Kehle zu, als er an eine noch lebende junge Frau mit honigfarbenen Haaren dachte und an ihre tote Zwillingsschwester. Er begriff, während er durch taufeuchte Büsche sprang und mit verblüffender Sorglosigkeit im offenen Mondlicht auf die Straße trat, daß es falsch gewesen war. Absolut falsch und dumm.
Er hatte ein halbes Leben lang gelebt und beinahe die Bedeutung der Magie verpaßt, die die Poeten Liebe nannten. Er stoppte abrupt und hielt in beiden Richtungen nach der Sänfte Ausschau, die ihn erwarten sollte.
Er fragte sich, während er nach Luft schnappte, ob er, falls er überlebte, um die eine Frau vor der Rache der Tong zu retten – er fragte sich, ob ihr zynisches, aus zertrümmerten Träumen geborenes Wesen ihr wohl jemals gestatten würde, ihn zu lehren, was er jetzt unbedingt wissen mußte. Er sehnte sich danach zu erfahren, ob die Leere, die er in sich entdeckt hatte, jemals wieder gefüllt werden konnte.
Er wirbelte herum und begriff noch etwas anderes: Dies war der letzte Auftrag, den er in dem Glauben ausführen konnte, daß es keine persönlichen Konsequenzen für ihn gab. Unwiderruflich hatte er den Abstand verloren, der ihn von seinen Mitmenschen entfernt und ihm die eiskalte, klare, neutrale Sichtweise ermöglicht hatte, durch die er zu einem wahren Meister seines Fachs geworden war.
Ein Bedürfnis war in ihm wach geworden, das ihn für immer veränderte: Er konnte nicht länger durch eine Brille gefühlloser Teilnahmslosigkeit auf andere blicken. Er konnte sie nicht länger nachahmen und ihre Identität nach Bedarf annehmen. Die hellhaarige Kurtisane hatte dies ein für allemal geändert.
Ein Nachtvogel sang irgendwo im Wald. Das Blätterwerk überdeckte die Straße und verdunkelte das Mondlicht und die feingesprenkelten Sterne. Als Arakasi im treibenden Nebel auf der leeren Straße stand, ohne jeden Anhaltspunkt, in welcher Richtung die Sänfte warten mochte,
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