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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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unseren Tritten nachgaben. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich hatte Calendar nicht genügend Zeit verschafft. Fiuzetta hatte leise zu weinen begonnen, ohne den Kopf zu senken. Ihre Augen sahen ins Leere und schwammen in Tränen. Ich nahm mir vor, Barberro für jede einzelne davon büßen zu lassen.
    »Niemand ist da«, höhnte Barberro, während er die letzte Stufe verließ und in den Schankraum hinaustrat. »Nicht ein verfluchter Pfeffersack.«
    »Ganz richtig, Barberro«, sagte eine Stimme. »Nicht ein verfluchter Pfeffersack.«
    Paolo Calendar saß an einem der langen Tische. Vor ihm befanden sich ein Teller mit einer halb aufgegessenen Mahlzeit und ein Becher Wein. Es sah aus, als hätten wir ihn beim Essen gestört. Ich starrte ihn an wie eine Erscheinung. Auch auf den anderen Tischen standen hölzerne Teller oder lagen Brotscheiben. Die Schankstube sah aus, als wären ihre Gäste während des Essens aufgestanden und davongelaufen. Ich sah unwillkürlich zum Eingang der Küche hinüber, aber auch dort regte sich nichts. Irgendwann zwischen meinem Eintreffen und jetzt waren die Gäste, Clara Manfridus und Julia spurlos verschwunden, als habe die Hölle sie verschluckt.
    Barberro drehte sich langsam um, Fiuzetta mit sich zerrend. Er hatte die Stimme erkannt, noch bevor er des Mannes ansichtig wurde.
    »Calendar«, sagte er, noch während er sich umwandte. »Bist du der Polizistenfreund?«
    »Ich bin hier, um dich zu verhaften, Barberro.«
    »Du und welche Armee?«
    Calendar lachte leise. Ich hätte ihm gern dieselbe Frage gestellt. Er erhob sich von seinem Tisch und trat hinter der Bank hervor. Barberro griff wieder nach Fiuzettas Haar und riss ihren Kopf nach hinten.
    »Bleib sitzen, sonst ist dein Freund bald Witwer.«
    »Das ist nicht seine Frau.«
    Barberro begann heiser zu lachen. Calendar beobachtete ihn mit dem Ausdruck kalter Höflichkeit, den ich mittlerweile an ihm kannte. Barberros Lachen wurde leiser. Ein weiterer Beweis, dass er nicht so dumm war, wie man seiner Erscheinung nach vermuten konnte. Sein Lachen endete in einem Knurren. Sein Kopf ruckte zu mir herum.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Er hat Recht.«
    »Wer zum Teufel ist das?«, brüllte Barberro mit sich überschlagender Stimme. Er ließ Fiuzettas Haar los und packte sie dafür am Kinn, um ihr Gesicht so weit zu ihm herumzudrehen, wie es ihr Genick zuließ. Sie schrie auf.
    »Sie ist nur eine Dirne«, sagte Calendar ruhig.
    »Sie hatte die schönen Kleider an …«
    »Es gibt viele Arten der Bezahlung.«
    »Aber der dreimal verfluchte Wirt hat mir gesagt …«
    »Er hat Sie reingelegt, Barberro«, erklärte ich. »Und das ist nicht der einzige Fehler, den Sie gemacht haben. Ich sage Ihnen noch mal: Lassen Sie das Mädchen los. Sie haben sich schon weit genug hineingeritten.«
    Barberros Gesicht färbte sich so dunkel, dass seine Lippen blutleer wirkten. An seinen Schläfen traten die Adern hervor. Die Hand mit dem Messer begann zu zittern. Fiuzetta wimmerte.
    »Ich werde sie … ich werde sie …«, stammelte er halb erstickt.
    »Sie hatten schon Recht, als Sie sagten, ich habe Geschmack. Das ist nicht nur irgendeine Dirne. In Wahrheit ist sie Leonardo Faliers Dirne, und er hätte sie sicher gern wieder.«
    Das war der eine Teil des Planes, den ich mir zurechtgelegt hatte. Der andere hatte mit einer Schankstube voller bis an die Zähne bewaffneter Stadtwachen zu tun, die ihre Spieße Barberro entgegenreckten. Doch außer Paolo Calendar schien niemand da zu sein – und der Polizist war offenbar unbewaffnet. Ich spielte meinen Trumpf trotzdem aus. Ich bin kein guter Spieler, aber manchmal gibt es einfach keinen anderen geeigneten Augenblick, um die Würfel aufzudecken.
    Barberro zuckte zurück und stieß Fiuzetta instinktiv von sich.
    Calendar nahm zwei Bänke und einen Tisch auf einmal, aber ich hatte den kürzeren Weg. Ich packte mit einer Faust Barberros Handgelenk mit dem Messer und mit der anderen seinen Ellbogen und wand ihm den Arm auf den Rücken. Er drehte sich unwillkürlich mit, aber er konnte meinem Griff nicht mehr entkommen. Ich presste ihn gegen die Wand. Er ließ das Messer nicht los. Ich bog seinen Arm nach oben. Er keuchte. Ich drückte noch ein wenig. Er schrie auf und ließ Fulvios Messer fallen. Ich konnte nicht aufhören zu drücken. Barberro begann zu heulen. Jeden Moment würde etwas in seiner Schulter nachgeben.
    »Diesmal sollten wir den Zeugen am Leben lassen, meinen Sie nicht?«, sagte

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