Die schwarzen Wasser von San Marco
während Jana sich langsam beruhigte. Sie stand noch eine ganz Weile an mich gelehnt da, das Gesicht an meiner Schulter vergraben, und überließ mich meinen eigenen erschrockenen Gedanken, taub gegen alle Versuche, ihr ein Wort zu entlocken. Dann sah sie zu mir auf und blinzelte die Tränen aus ihren Augen.
»Ich hätte ihn umgebracht«, murmelte sie heiser, und ich konnte nicht erkennen, ob sie über diese Feststellung entsetzt war oder ob sie es bedauerte, daran gehindert worden zu sein.
»Warum? Weil er Fiuzetta … weil er sie beinahe …?« Hilflos brach ich ab.
»Nicht nur ihretwegen.«
»Ich verstehe dich nicht.« Sie entwand sich meinem Griff und trat einen Schritt zurück. Mein Herz klopfte so laut, dass ich unwillkürlich nach Luft schnappte. Janas unerwartete Attacke gegen Barberro hatte mich beinahe mehr erschreckt als dessen Überfall.
Jana schloss die Augen und atmete zitternd ein. Sie schwankte, dann straffte sie sich. Sie sah zum Kücheneingang hinüber, in dem ein paar neugierige Gesichter hingen, zu scheu, in den Garten zu treten, dann wandte sie sich ab und betrachtete den Hof. Er besaß ein durch ein dichtes Lorbeergebüsch abgegrenztes Stück Garten, in dem Kräuter und Blumen wuchsen; der Rest war festgetretene Erde, auf der die Küken herumwimmelten. An einer Seite ragten die Stallungen in die Höhe, ihnen gegenüber die fensterlose Rückwand des Nachbargebäudes. Sie bückte sich und griff nach einem Küken, das versuchte, über ihre bloßen Füße zu laufen. Es wehrte sich, erstarrte aber, als sie es hochhob, nicht anders als bei Moro und mir in der Nacht, als ich Fiuzettas Geschichte erfahren hatte. Auch jetzt kauerte das Küken sich in Janas Hand und wurde innerhalb von Sekunden schläfrig.
»Monna Mariana war noch einmal da, um nach mir zu sehen«, sagte Jana schließlich.
»Es tut mir Leid, dass ich nicht da war, aber Caterina … die Jungen … die Morde …«
Sie schüttelte den Kopf, und ich wusste nicht, ob es bedeutete, dass es nicht der Rede wert war oder dass sie mir im Augenblick nicht verzeihen konnte.
»Peter«, hauchte sie und begann wieder zu weinen, »sie hat gesagt, sollte ich noch einmal schwanger werden, wäre es wahrscheinlich mein Tod.«
Ich rang nach Atem, obwohl ich es bereits dunkel geahnt hatte. Mein Herz begann zu pochen, als ich darauf wartete, was sie als Nächstes sagen würde.
– Ich will das Risiko trotzdem eingehen.
Ich tat einen Schritt vor, um sie in die Arme zu nehmen, doch der Augenblick war vertan. Jana hatte sich umgedreht und gab vor, den Kräutergarten zu mustern. Das Küken kam verwirrt auf die Füße und hastete dann davon.
»Jana …«
Sie drehte sich um. Ihre Augen waren groß und schwammen in Tränen.
»Ich will leben!«, rief sie laut. »Verstehst du? Ich will nicht sterben. Es gibt noch so viel, was ich sehen will. Es gibt noch so viel, was ich dir sagen muss. Es gibt noch so unendlich viel, was ich noch tun möchte.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Am meisten aber will ich ein Kind im Arm halten und auf dich zeigen und sagen: Dieser große ungeschlachte Kerl, dessen Herz für viel zu viele Dinge schlägt und der viel weniger zynisch ist, als er selbst hofft, ist dein Vater.«
Ich senkte den Kopf. Sie atmete ein und versuchte, sich zu beruhigen. »Was soll ich tun, Peter, was soll ich tun?«, flüsterte sie. »Ich zerbreche daran.«
»Das darfst du nicht sagen.«
»Es ist aber so. Es ist nicht nur ein toter Klumpen Fleisch, der da aus mir herausgekommen ist. Es ist meine ganze Seele.«
Ich konnte nichts dazu sagen. Ich wusste, wie es sich anfühlte, wenn man glaubte, ein Verlust habe einem die Seele aus dem Leib gerissen.
»Ich kann es nicht«, gestand ich. »Ich kann nicht sagen: Zünden wir eine Kerze für die Jungfrau an, und dann lass es uns riskieren. Wenn dir etwas zustößt, sterbe ich.«
Sie schnaubte. Ihr Mund verzog sich zu einem wehmütigen Lächeln. »Glaubst du, wir könnten uns mit diesen Gedanken im Kopf überhaupt zusammen in ein Bett legen?«
Ich starrte sie betroffen an.
– Glaubst du, wir können uns jemals wieder zusammen in ein Bett legen und dort tun, was Liebende tun?
»O mein Gott, Jana«, krächzte ich. Sie nickte. Ihre Augen quollen von neuem über. Ich streckte die Arme nach ihr aus, und sie kam heran und drückte sich an mich. Ich strich ihr über den Rücken und spürte, wie das Schluchzen ihren Körper erschütterte. Jeder einzelne Laut schnitt mir tief ins Herz.
Und dann wusste
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