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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Calendars Stimme scheinbar unbeteiligt an meinem Ohr.
    Ich lockerte meinen Griff, und dies kostete mich mehr Kraft, als Barberro in Schach zu halten. Ich versuchte zu sprechen und stellte fest, wie verkrampft mein Kiefer war.
    »Wo ist Fiuzetta?«, fragte ich schließlich.
    Calendar deutete über die Schulter. Er hatte sie zu einem der Tische gebracht und sie auf eine Bank gesetzt. Sie starrte uns mit kalkweißem Gesicht an.
    »Wenn ich gewusst hätte, worauf Sie hinauswollen …«, sagte Calendar.
    »Halten Sie das Schwein fest«, murmelte ich. Calendar löste meinen Griff ab. Barberro hatte aufgehört zu schreien und stöhnte nun vor Schmerz und Wut gleichermaßen. Calendar machte keine Anstalten, den Griff zu lockern. Er lehnte sich gegen den Sklavenhändler, drückte dessen Hand unbarmherzig zwischen seine Schulterblätter und sah mir zu, wie ich zu Fiuzetta hinüberging.
    »Ich musste es sagen. Es war die einzige Chance, ihn zu erschrecken. Vor Falier hat er eine Heidenangst.«
    Fiuzetta sah zu mir auf. Ihre Lippen zitterten, und über ihr bleiches Gesicht zogen sich Tränenspuren.
    »Ich konnte nicht sagen, dass ich nicht Gianna bin«, flüsterte sie tonlos. »Sonst wäre alles kaputtgegangen. Aber als Barberro das von meinem Kind sagte …«
    »Ich weiß, da hättest du am liebsten alles verraten.«
    Sie begann zu schluchzen. »Aber ich habe es nicht getan. Ist das ein Beispiel, wie eine Nutte denkt?«
    »Fiuzetta, ich weiß nicht, wie eine Nutte denkt; aber ich nehme an, nicht anders als du und ich und jeder andere Mensch. Dass man seinen Körper verkauft, um essen zu können, heißt nicht, dass man auch seine Seele verkauft hat.«
    »Warum höre ich dann immer wieder: Fiuzetta ist nur eine Nutte?«
    »Ich habe dir doch erklärt, dass Barberro sonst …«
    Sie wandte sich ab und versuchte erbittert, gegen ihr Schluchzen anzukämpfen. »Lass mich!«, stieß sie hervor.
    Ich hatte mich von ihrem Schmerz einschüchtern lassen, als sie gestern Nacht vor der Tür unserer Kammer gelegen hatte. Diesmal tat ich es nicht. Ich setzte mich neben sie und nahm sie in die Arme. Sie sträubte sich, aber ich ließ sie nicht los. Ich erinnerte mich, was Maria einmal gesagt hatte: Manchmal sehnen sich Kinder so sehr nach einer Umarmung, dass sie jede Nähe zurückweisen, weil sie den Gedanken nicht ertragen können, dass die Umarmung irgendwann einmal aufhören wird. Dann muss man sie festhalten, bis ihr Widerstand geschmolzen ist.
    Ich hielt Fiuzetta fest, bis ihre Kraft erlahmte und sie sich gegen mich sinken ließ. Vermutlich war ich der erste Mann, der sie umarmte, ohne ihr dabei das Mieder aufzuschnüren. Ich sah in Janas Augen, die zusammen mit Moro und Michael Manfridus die Treppe heruntergestürzt gekommen war, als ich Fiuzetta an mich zog. Jana zitterte am ganzen Körper und war in Tränen aufgelöst.
    Moro und Calendar führten Barberro zu einer benachbarten Bank, drückten ihn darauf nieder und banden ihm Hände und Füße mit einem Strick, den Moro aus der Küche geholt hatte. Manfridus, der sich beunruhigt nach seiner Frau und den Gästen umsah, fand alle in seinem kleinen Hinterhof, wohin sie die Autorität und das Polizeisiegel Calendars verfrachtet hatten. Er öffnete den Riegel, ließ sie ein und erklärte seiner empörten Gattin die Sachlage. Clara Manfridus starrte von Jana zu Fiuzetta zu Barberro und wirbelte danach brüsk herum, um in der Küche neue Suppe zu kochen. Die Herbergsgäste bildeten einen weiten Kreis um uns und ließen sich wieder an ihren Plätzen nieder; diejenigen, deren Plätze jetzt von uns eingenommen wurden, holten scheu ihr Essen und ihre Getränke, ohne uns anzusprechen.
    Kurz darauf kauerte sich Jana neben Fiuzetta und legte ebenfalls die Arme um sie. Sie klammerten sich aneinander und weinten; dann sah ich, dass es in Wahrheit Jana war, die sich an Fiuzetta festhielt, und dass sie die Fassungslosere von beiden zu sein schien. Ich gewahrte Calendar, der neben mich getreten war und die beiden Frauen betrachtete. Seine Miene wirkte beinahe so unbewegt wie sonst, nur zwischen seinen Brauen stand eine feine Falte, als sähe er etwas, das ihn mit einer kaum zu greifenden Ahnung erfüllte.
    »Warum sind Sie schon wieder allein?«, fragte ich.
    Er blinzelte. Ich hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen.
    »Alle Stadtwachen sind auf der Suche nach Flüchtlingen aus dem Pestschiff draußen auf dem Kanal. Wie es scheint, haben sich ein paar davon im Schutz der Dunkelheit auf und davon

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