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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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aber dann doch nicht nach ihm verlangte, sprach er weiter.
    »Enricos Bruder Fabio hatte ihm seinen ältesten Sohn anvertraut, damit er was vom Geschäft lernt. Ausgerechnet von Enrico! Ich glaube eher, der Junge sollte so was wie ein Spion sein, der sich genauen Einblick in Enricos Geschäfte zu verschaffen hatte. Er sollte wohl herausfinden, ob Fabio noch was von seinem Geld zurückkriegen konnte und ob es sich lohnte, Enrico auszubooten und seine Geschäftsverbindungen selbst zu übernehmen. Aber der Junge war ebenso eine taube Nuss, was das betrifft, wie Enrico selbst. Sogar Enrico merkte das – nicht den Vergleich mit ihm selbst, versteht sich, aber überhaupt. Wir nehmen Pegno anstelle deines Gefangenen, sagte Enrico. Er ist im selben Alter und vor allem: genauso unverbraucht.«
    Ich hatte Enrico Dandolos Gesicht vor mir, wie er mir in dieser Schankstube gegenübersaß und sagte: Ich bin der Onkel des Jungen. Ich bin wie ein zweiter Vater. Ich bin für ihn verantwortlich. Ich bin verzweifelt. Ich hatte ihn bedauert. Keine Frage, er konnte jemandes Vertrauen wecken.
    »Du bist verrückt, sagte ich zu Enrico. Was glaubst du, was los ist, wenn sein Vater was merkt? Wenn er ihm hinterher alles erzählt. Wir müssen eben dafür sorgen, dass Pegno nicht mehr zurückkommen kann, um alles zu erzählen, sagte Enrico. Wir müssen Pegno für tot erklären. Sein Vater verachtet ihn; wenn er von seiner Reise zurückkommt, wird er nur zwei Fragen nach seinem Sohn stellen, und die zweite wird sein: War das Begräbnis teuer?«
    Calendars Stimme klang rau in der eingetretenen Stille. »Deshalb habt ihr den jungen Prinzen ertränkt, und Ursino hat ihm das Gesicht zerschnitten, damit die Fische ihn leichter unkenntlich machen konnten. Die Gassenjungen kamen euch gerade recht: Fulvio zwang sie dazu, auszusagen, sie hätten Pegno in der Nähe des Arsenals herumschleichen sehen. Das und die Aussage Enricos, der Tote sei sein Neffe, überzeugte alle. Aber warum das Arsenal?«
    »In einem rio wäre die Leiche zu schnell gefunden worden; und im Kanal wäre sie in die Lagune hinausgetrieben und niemals entdeckt worden.«
    »Und die Entdeckung der Leiche war wichtig für die ganze Geschichte.«
    Barberro nickte erneut. Er sah in die Runde und kräuselte verächtlich die Lippen, als er unser Entsetzen bemerkte. Ich habe mich manchmal gefragt, wie sich ein Fuchs fühlt, den man im Hühnerhof ertappt hat und mit den Spießen in die Enge treibt. Der Fuchs hat vermutlich nicht wirklich den Eindruck, etwas Schlimmes getan zu haben. Mit Barberro verhielt es sich ähnlich.
    »Was ist schief gegangen?«, fragte ich.
    »Enrico, dieser Vollidiot. Ich wollte, dass er Pegno am nächsten Morgen unter einem Vorwand zu Rara de Jadra bringen würde, damit sie ihm wenigstens die Grundzüge beibrächte. Der genuesische Botschafter sollte ja was davon haben, oder? Enrico sagte, das sei ihm zu früh, er müsse sich erst nach einem Ersatz umsehen, der Pegnos Arbeit übernehme. Ich sagte, er solle sich damit beeilen; Faliers Leibwächter waren mir bereits auf den Pelz gerückt, und ich wollte sie nicht noch mal auf dem Schiff haben. Enrico sagte, er würde sich in dem Kloster erkundigen, in dem Pegnos jüngerer Bruder untergebracht ist, ob man diesen für einige Zeit beurlauben könne. Er meinte, Andrea sei ohnehin schlauer als Pegno, da würde er keinen schlechten Tausch machen und das Bestechungsgeld für den Prior schon wieder hereinbringen. Enrico hatte vor, irgendwas davon zu faseln, dass Pegno unzuverlässig sei und sich herumtreibe und er gerade ein wichtiges Geschäft am Laufen habe, bei dem er unbedingt die Unterstützung der Familie brauche – und Andrea sei der Einzige, der greifbar wäre. Der Prior nahm das Geld und fragte Andrea, und als der zustimmte, schien alles in Ordnung. Doch das Ganze hatte uns noch mal einen Tag aufgehalten, und in der Nacht, die darauf folgte, verschwand Pegno spurlos.«
    Calendar beugte sich über den Tisch. »Was?«, zischte er.
    Barberro zuckte mit den Schultern und spreizte die Finger seiner gefesselten Hände. »Wie ich sage – weg! Verschwunden! Bis heute ist er noch nicht wieder aufgetaucht.«
    »Deshalb kam Enrico Dandolo zu mir, um mich nach meinem Rat zu fragen«, stieß ich fassungslos hervor. »Mein Name war bekannt genug, um sein Hilfegesuch an mich halbwegs logisch erscheinen zu lassen. Letztlich hätte ich mich vielleicht sogar noch auf die Suche nach Pegno gemacht. Hätte ich ihn gefunden, hätte ich

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