Die schwarzen Wasser von San Marco
er sich selbst in die schlechtere Position manövriert. Dass er versuchte, die Situation weiterhin mit Herablassung zu meistern, machte ihn nicht sympathischer. Ich fragte mich, ob er bereits begonnen hatte, dem Prior seines Klosters Ratschläge zu erteilen. Ich sah auf seine rechte Hand, die unaufhörlich mit der Messerspitze auf die Platte des Schreibpults pochte. Er folgte meinem Blick und riss seine Hand und den Dolch weg, als hätte ich ihn bei etwas Sündigem ertappt.
»Er hat deine Zeit beansprucht. Zeit ist wertvoll. Hier ist das Geld dafür.«
Er nahm mit einer raschen Bewegung eine Rolle Siegellack aus dem Kästchen und hielt sie an die Kerzenflamme. Als der Lack weich genug war, rieb er mit einer Drehung des Handgelenks einen Batzen davon auf das Dokument. Dann nestelte er einen Ring, den er an einer Kette um den Hals trug, hervor und drückte ihn in den noch weichen Siegellack. Seine Finger waren noch zu dünn, um den Ring an der Hand tragen zu können.
»Du hast deinen Bruder identifiziert?«, fragte ich.
»Ich und mein Oheim Enrico.«
»Wie hat deine Mutter die Botschaft aufgenommen?«
Er stutzte nicht einen Moment. Er trug das gesiegelte Dokument herüber zum Tisch und ließ es auf meine Seite segeln.
»Für dich«, sagte er. »Hast du dein Siegel bei dir?«
Ich lächelte und hob die Hand, an der mein Siegelring glänzte. Er presste verärgert die Lippen zusammen.
»Komm zum Pult, dann kannst du meine Ausfertigung siegeln und den Empfang des Geldes beglaubigen.«
»Wer bezahlt mich hier eigentlich? Du oder dein Oheim?«
Andrea reckte sich unbewusst. »Ich führe die Geschäfte für ihn – in Vertretung meines verstorbenen Bruders.«
»Dein Bruder hat die Geschäfte nicht geführt. Er war hier, um zu lernen.«
»Ich bin nicht mein Bruder.«
Ich schlenderte zum Schreibpult hinüber und las die zweite Ausfertigung, die ich siegeln sollte.
»Hier steht: ›Für die Hilfe bei der Suche nach meinem Neffen, meinem Bruder Pegno Dandolo …‹«, sagte ich.
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich habe keine Hilfe geleistet.«
»Das formuliert man eben so.«
»Wer sagt das? Dein Oheim?«
Er starrte mich an. Ich nahm das Säckchen und wog es; schließlich nestelte ich es auf. Es war voller Silbermünzen, bestimmt im Gegenwert eines Dukaten.
»Ich frage mich, was ein Ratschlag von mir wert gewesen wäre, wenn schon ein nicht gegebener Rat ein kleines Vermögen einbringt.«
»Nimm es und siegle. Ich habe noch zu tun.« Er wies auf den Tisch mit seiner Anhäufung von Dokumenten.
»Zweifellos. Ich hege nur Skrupel, Geld für etwas zu nehmen, das ich nicht geleistet habe. Noch dazu, wenn es aus dem Säckel von jemandem stammt, der am Rand des Bankrotts steht.«
»Das Geld ist nur zum Teil von meinem Oheim. Der Rest stammt aus dem Haus Fabio Dandolo.«
Ich erhitzte den Siegellack und ließ ein paar Tropfen auf das Dokument fallen. Andrea sah mir mit einem neidischen Gesichtsausdruck zu, als ich meine rechte Hand zur Faust ballte und mein Siegel aufdrückte.
»Weiß dein Oheim, dass du seine Belohnung aufgewertet hast?«
»Es ging immerhin um meinen Bruder.«
»Bist du sicher, dass du genügend Geld hineingetan hast, um sein Konto damit saldieren zu können?«
Er sah mich böse an. »Es gibt kein Konto mehr. Mein Bruder ist tot.«
»Glaubst du, dein Vater wird dich dafür loben, dass du so viel Geld ausgegeben hast? Soviel ich weiß, stand Pegno nicht so hoch im Kurs bei ihm.«
»Mein Vater ist ein glänzender Kaufmann und gerechter Mann.«
Jemand öffnete die Tür, hüstelte und blieb bescheiden dahinter stehen. Es war ein älterer Mann in einfacher Kleidung. Er hatte die gebeugte Haltung des langjährigen Schreibers sowie Tintenflecke an Fingern, Ärmeln und im Gesicht. Andrea wandte sich ihm zu.
Ich hatte das Gefühl, dass er erleichtert war, das Gespräch unterbrechen zu können.
Der Schreiber teilte Andrea halblaut etwas mit. Er nannte ihn respektvoll messère . Andreas Antworten waren kurz und bestimmt. Im Gesicht des Schreibers stritten sich erleichterte Zustimmung zu Andreas Anordnungen mit der Ablehnung über die Art, wie er seine Befehle erteilte. Nach wenigen Sätzen verließ der alte Mann das Zimmer. Andrea kam wieder zum Schreibpult herüber.
»Schwierigkeiten?«, fragte ich.
»Ich habe gestern Anordnung gegeben, die Lagerbestände zu überprüfen. Wir haben Wein, Mehl und Stoffe.«
»Nicht gerade das, wodurch man reich wird.«
Andreas Augen funkelten. »Der Wein ist noch
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