Die schwarzen Wasser von San Marco
sondern mit dem Herzen.«
»Ich wünschte, ich könnte erfassen, welche Pläne Gott für mein Leben gemacht hatte, ganz egal, mit welchem Körperteil.«
Moro wurde wieder ernst. »Ich weiß. Sie scheuen vor dem Gedanken zurück, dass Ihre Gefährtin erneut schwanger werden könnte. Sie haben Angst, dass es schief gehen wird. Mehr als jetzt. Denken Sie an das Meer. Nach einem Sturm ist es meistens lange Zeit ruhig.«
»Das gilt nicht immer. In meinem Leben wüten besonders viele Stürme.«
»Das glauben Sie bloß. Es gibt Menschen, die sehen in einen strahlend blauen Himmel und sagen: Wahrscheinlich wird es in einer Stunde regnen.«
»Für so einen Menschen hältst du mich?«
Er tat so, als würde er mich abschätzen, mit all der Unverfrorenheit, die sein Dasein als Sklave ihm erlaubte, aber noch mehr mit der Offenheit, von der er wusste, dass er sie sich im Umgang mit mir erlauben konnte. Ich dachte einen Moment belustigt: Ich bringe nicht mal einen Sklaven dazu, einfach »Ja, Herr!« zu mir zu sagen. Doch ich wusste, dass ein Mensch, dem ich nicht mehr zu sagen gestattete, es niemals für wert gehalten hätte, mich zu trösten und zu versuchen, mir die Zukunft wieder schmackhaft zu machen.
»Nein«, verkündete Moro entschieden. »Sie gehören zu denen, die in den blauen Himmel blicken und sagen: Hoffentlich bleibt es so.«
»Und zu welchen Menschen gehörst du?«
»Ich sehe in den blauen Himmel und sage: Danke für diesen Anblick.«
»Und wenn der Himmel grau wäre, würdest du dasselbe sagen.«
»Natürlich.«
Ich sah mich um. Mein Blick fiel auf zwei Gassenjungen, die unweit der Herberge an einer Hausecke lauerten und jeden Menschen, der mit einer Last daherkam, baten, ihm für Geld diese abnehmen und eine Weile tragen zu dürfen. Die meisten schlugen das Angebot aus. Vermutlich sahen sie im Geiste, wie ihre Habe auf zwei mageren Jungenbeinen schneller davonrannte, als sie hinterherhecheln konnten. Ein Kleriker erlaubte ihnen, seine Kutte hochzuheben und über eine Stelle zu tragen, an der ein Lastesel seinen Därmen Erleichterung verschafft hatte; sein Lohn bestand jedoch lediglich aus einem Segen. Die Jungen nahmen ihn knieend an und verbargen ihre ärgerlichen Gesichter unter gesenkten Häuptern.
»Was ist mit denen da?«, fragte ich Moro. »Zu welcher Kategorie, glaubst du, gehören sie? Sie haben keine Zukunft, keine Freunde, keine Hoffnung.«
»Selbstverständlich zur gleichen Kategorie wie ich. Sie sind dankbar für den Augenblick, der ihnen etwas zu essen, einen trockenen Unterschlupf, ein Almosen oder ein freundliches Lächeln bringt. Sie verschwenden keine Zeit, daran zu denken, wie es nachher sein könnte. Und glauben Sie bloß nicht, diese kleinen Kerle leben ohne Hoffnung. Hoffnung ist es, die ihnen über die weniger schönen Augenblicke ihres Lebens hinweghilft.«
Ich verzichtete darauf, ihn zu fragen, wie seiner Meinung nach Gottes Plan für diese Ausgestoßenen lautete. Ich konnte mir die Antwort selbst geben: Gott wollte, dass die Menschen sich ihrer annahmen, aber die Menschen waren zu tief in ihre eigenen Pläne verstrickt, um dies zu erkennen.
Die Jungen erhoben sich und nahmen ihren Lauerposten wieder ein. Der Kleriker ging weiter seiner Wege. Das Rückenteil seiner eleganten schwarzen Kutte war plötzlich über und über mit Eselsdung beschmiert. Ich wusste nicht, wie die Burschen das angestellt hatten. Der Kirchenmann wusste nicht einmal, dass es überhaupt geschehen war. Er würde sich auf seinem Weg die ganze Zeit über wundern, wieso er den Gestank nicht aus der Nase bekam.
Jetzt erst fiel mir auf, dass ich einen der beiden Gassenjungen kannte: Maladente.
»Wie lange treiben sich die beiden schon hier herum?«, fragte ich Moro.
»Sie waren schon da, bevor Sie herauskamen.«
Als Maladente mir einen Blick zuwarf und gleich wieder das Gesicht abwandte, wurde mir klar, dass die Jungen auf etwas warteten. Auf mich? Ich rief Maladentes Namen, und er blickte wieder auf; doch als ich ihn heranwinkte, wandte er sich ab und machte keine Anstalten, meiner Geste zu folgen.
»Sie haben Angst vor dir, Moro«, sagte ich.
Er verzog den Mund. »Das kann schon sein. Ich verjage immer wieder mal ein paar von ihnen vor der Herberge. Sie belästigen die Gäste von Herrn Manfridus.«
»Sie sind arme Kerle; sie betteln nur.«
»Und schneiden die Börse ab, ja. Aber ich gebe Ihnen Recht. Sie sind arme Kerle. Wenn ich sie von hier vertrieben habe, bringe ich nachher meistens etwas zu
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