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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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gestand ich mir unglücklich ein, auch dazu, dass Gott es so gerichtet hatte, dass aus der Leidenschaft der Liebe neues Leben erwachsen konnte. Jana wünschte es sich, und sollte sie nochmals schwanger werden, dann würde ich jeden Tag bis zur Geburt tausend Tode sterben.
    – Und wenn das Kind erst auf der Welt ist, auch.
    Jana hatte Recht: Jedes Leben lag in Gottes Hand, und besonders das der Kinder liebte der Herr manchmal wieder zu sich zu rufen. Doch wie sollte ich jeden Tag mit dieser Furcht existieren können? Ich verließ die Schankstube und trat auf die Straße hinaus.
    Moro hatte wie üblich seinen Beobachtungsposten neben der Tür bezogen. Als er mich sah, nickte er mir zu, rückte beiseite und ließ mir genügend Platz, um mich neben ihn an die sonnenwarme Wand der Herberge lehnen zu können. Ich nahm seine Einladung an und fragte nicht erst danach, ob es nicht seltsam aussehen würde, wenn ich in schöner Eintracht neben einem Sklaven an der Mauer lehnte und das Treiben auf der Straße beäugte.
    Moro warf mir einen Seitenblick zu und wandte sich dann wieder ab.
    »Wenn man draußen auf dem Lido steht«, sagte er nach einer Weile, »kann man sehen, wie das Meer sich gegen das Land wirft. Welle um Welle kommt angerollt, bringt Nahrung für die Krebse und kleinen Fische, die im seichten Wasser leben, bringt leere Muschelschalen für die Kinder und Treibholz für die Armen, die es dankbar aufsammeln, bringt die Fischschwärme von weit draußen, von denen die Fischer in ihren Booten leben. Tag für Tag trägt das Meer das heran, was die Menschen an seiner Küste brauchen. Es ernährt sie, beschützt sie und bereitet ihnen Freude. Manchmal bringt es jedoch auch etwas Schreckliches heran, ein Ungeheuer, das irgendwo in den Tiefen des Meeres sein Ende gefunden hat und aufgeschwemmt und stinkend ans Ufer geworfen wird, und manchmal gehen die Wogen so hoch, dass die Fischerboote zerschlagen werden und die Leichen der Fischer für immer auf den Grund sinken. Danach ist es wieder so friedlich wie zuvor.«
    Er warf mir abermals einen Seitenblick zu und kratzte sich dann am Kopf. »Wenn mich jemand auffordern würde, das Wesen der menschlichen Existenz zu beschreiben, würde ich es mit dem Meer vergleichen. Die Dünung unseres Lebens trägt immer das an uns heran, was für uns wichtig ist; aber manchmal gerät dieser Rhythmus ein wenig durcheinander und spült uns Geschehnisse entgegen, die wir nicht verstehen können und die uns weh tun. Vielleicht muss das auch so sein und dient einem höheren Zweck, so wie die Aasvögel sich vom Kadaver des Ungeheuers ernähren, und wir verstehen es bloß nicht. Es lässt sich aber auch nicht ändern, genauso wenig wie wir das Meer beeinflussen können, uns nur das zu geben, was wir wünschen.«
    »Jana wird leben«, sagte ich.
    Er nickte wieder und machte eine ernste Miene. »Ich wusste es noch nicht.«
    »Ich danke dir für deine Worte. Sie waren in dieser Lage ebenso angebracht, als wenn sich alles zum Bösen gewendet hätte.«
    Er verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. Nach einer Weile schlug er mir plötzlich gegen den Arm und lachte lauthals. »Sie wird leben!«, rief er. »Warum ziehen Sie dann ein Gesicht, als hätte die Katze ihre Fische gefressen?«
    »Es ist nur ein Aufschub«, seufzte ich.
    »Sie will ein Kind, und ich habe noch keine Frau gesehen, die nicht früher oder später diesen Wunsch verspürte. Gott hat die Frauen zum Gefäß für das Leben gemacht. Wir Männer sind bloß der Funke, der den Prozess in Gang setzt. Wir haben gar kein Recht, uns dem zu widersetzen. Und wir sollten uns freuen, dass auch wir Anteil daran haben, neues Leben zu schaffen.«
    »Moro, du hast Ansichten, die nicht unbedingt mit den gültigen Erkenntnissen der menschlichen Anatomie übereinstimmen.«
    Er lachte so laut, dass ein paar Vorbeigehende sich umdrehten und unwillkürlich grinsen mussten.
    »Ich habe mal einem Arzt über die Schulter geblickt, als er ein Buch konsultierte, um sich daraus Rat zu holen. Ich sage Ihnen, was ich da an Zeichnungen der menschlichen Anatomie gesehen habe, könnte Ihnen jeder Landsknecht widerlegen, der gerade seinem Gegner den Bauch aufgeschlitzt hat. Entschuldigen Sie den widerwärtigen Vergleich. Abgesehen davon«, er schüttelte belustigt den Kopf, »braucht es nicht die gültigen Erkenntnisse der menschlichen Anatomie, um zu verstehen, wie Gott das Leben gewollt hat.« Er tippte sich auf die Brust. »Gottes Pläne erfasst man nicht mit dem Kopf,

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