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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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gedämpfte Schwirren, das der Schraubbewegung folgte, mit der man den Bakelitpropeller kreisen ließ. Tritt ein! wurde uns verheißen. Die Schmetterlingsklingel schien Späne von der Wirklichkeit abzuhobeln. Mit jeder Drehung kam mehr von der Tür zum Vorschein, ein schartiges, grünspanüberzogenes Luk, das wir, meine Freunde und ich, mit angehaltenem Atem durchkletterten.
    … tropisches Gebiet. Der Hauptbahnhof eine Panzerechse, die von Süden die Stadt belagerte. Reglos verharrte sie, die Züge schienen aus ihr heraus- und in sie zurückzukriechen wie nahrungsuchende Zungen. Tasteten sie sich vor, den Rand zu berühren, die bröckelige, von Zeit und Wurzeln angegriffene Mumienhülle um die Stadt? Die Wächter hielten Wacht, die Hunde streunten in den Laufanlagen, die Ösen ihrer Ketten rieben am Führdraht, es klang wie geduldiges, tagein, tagaus, Wetzen von Messern. Oder war es ozeanische Dünung? Dresden hat Sehnsucht nach dem Meer. Der Name Seevorstadt, zu der die Prager Straße gehört, verweist auf Maritimes. Hiddensee und Darß wirken, wenn man sich im Sommer dort aufhält, wie Dresdner Stadtteile; daß sie exterritorial liegen, muß nicht verwundern angesichts einer Heraldik, die den markmeißnischen Löwen, ein ausgesprochen einheimisches Tier, im Schild führt. Ertönte der Ruf des Minol-Pirols, Vogel Schwarzgelb, Träger der Dresden- und Giftfarbe? Zaqaru, zaqaru … Babylonien und Assur wurden in den Gewitterblitzen über der nächtlichen Stadt sichtbar. Das Georgentor, die Treppe der Vier Tageszeiten, die Katholische Hofkirche gerieten ins Schlingern, unter ihnen brach der Boden auf, wankte, entließ die Faulgase der Sümpfe, auf denen dieStadt erbaut worden war; Drežd’any: Wald- und Sumpfstadt, die Dresdner Wald- und Sumpfbewohner. Die Brühlsche Terrasse mit dem Ständehaus, in dem sich das Tierkundemuseum befand, schien den unausgesetzten Bemühungen des Flusses zu folgen, löste sich, drohte die Kunstakademie zu zerreißen, die Kuppel mit den Plisseerock-Rippen, Zitronenpresse genannt. Fama, das Altarlicht ihrer Flügel ein Fremdkörper, berührte mit einem Bein noch die Stadt, das andere trug sie in die Lüfte, Menschenleib-Insekt und Wolkenbotin über unseren Köpfen, zum Flug womöglich nie bestimmt, sondern gefangen im Augenblick des Abhebens, im heftigen und irgendwann ermattenden Schlag ihrer Schwingen, dieser Sieges- und Schwerkrafttransporteure, die Hypnosestaub zu den Häusern unten schickten. Pechfäden schnürlten vom Himmel, Schneeschatten – die weißen Flocken fielen zur anderen Hälfte des Monds von Dresden, der nun zu reisen begann. Seltsame Gestirne gingen auf. Auf dem Weißen Hirsch ließ Baron von Ardenne die Kuppeln seiner Sternwarten öffnen, um das, was vorübertrieb, in den Katalog des Phantastischen Universums aufzunehmen. Und er war nicht der einzige, Dresden bildete selbst ein Sternbild: das der Astronomie, der Orte ihrer Übung: Es hatte, bis zur Zerstörung in der Bombennacht, ein Planetarium an der Stübelallee, nahe dem Botanischen Garten, gegeben; die private Sternwarte von Frantz in Striesen, das markant geformte Observatorium im Beyer-Bau der Technischen Universität, Gotenburg- und Diesterweg-Sternwarte in Radebeul, die Schulsternwarte in Plauen untersuchten die Aufenthalte der Muse Urania. Immer wieder entdeckte der aufmerksame Flaneur einen ihrer scheinbar vergessenen Tempel: an der Eugen-Dieterich-Straße in Niederpoyritz, im Gönnsdorfer Land oberhalb von Dresden, im Gestrüpp von Elbhanggärten. Nebensonnen erschienen, blickten als schwarze Augen, kenntlich nur durch eine schmale Behörden-Iris, auf die Geschehnisse unter ihnen. Angesogen von den Kräften ihres Blicks brachen Gewächse aus dem Boden, kletterten über die Pflastersteine, die Treppenstufen zur Brühlschen Terrasse, füllten die Elbe, deren Wasser in dem Maß wegzusickern schien, wie die Schuppenbäume, Pfeilkrautgewächse, Luftwurzeln von Sumpfzypressen emporquollen und Fische hoben, bis ihr Leid in den Etagen der Pflanzen glänzte. Dann schienensich die Reiter des Fürstenzugs zu beleben und auf eine eigene schönfärberische Sphäre zuzubewegen, halb angewidert von der Zugluft der neuen Wirklichkeit, halb geschmeichelt vom Vermögen ihrer aus Meißner Kacheln gebrannten Herzen, sie den Dresdner Tropen auszusetzen, an die Kraft ihrer wettinischen Hellebarden gegen die Bärlappe und Riesenschachtelhalme zu glauben. Die fleischfressende Gigantenblume aus einem tschechischen Märchenfilm,

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