Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Liebe. Die irdische, obwohl sie eine Göttin darstellte, hatte Giorgione gemalt, Venus in waffenstreckender Nacktheit, schlummernd in arkadischer Landschaft, nicht frei von Zumutung, da die Erfindung der Erotik in die Ansprüche des Bilds gewoben ist, dennoch, bei aller sinnlichen Herausforderung, von rätselhafter Aura. Je länger ich Giorgiones Venus betrachtete, desto bemerkenswerter schien mir, daß ihr, der Verkörperung der Lust, nichts Ordinäres, und Konkubinenhaftes nur für einen Wimpernschlag, zugemischt war, daß der Maler es verstanden hatte, sie als Frau nicht zu demütigen, obwohl er sie den Blicken von Zuschauern preisgab und ihre Linke den Schoß berührte. Sie hatte Würde. In dieser gemalten Sprache lagen Kennerschaft, Mut, Stolz auf Wirkliches, Verschwiegenheit, alle in ihrer unaggressiven Form; Verbündete der Zärtlichkeit, die ein Mann für eine Frau aufzubringen vermag.
Telefonzelle 1992
Dix’ Kriegstriptychon in den Neuen Meistern. Danach zogen mich die Stilleben in den Alten Meistern an und das Porträt des Charles de Solier, Sieur de Morette. Gartenstühle mit Sitzflächen, die Tamburinschatten hinterließen; die Untersuchung des Augenblicks, in dem es dem Narren gelingt, dem Tod von der Schippe zu springen, weil nur er den Herrn des Dunkels im entscheidenden Moment zum Lachen bringen kann; die Verkürzung des Lebens auf einen Gesichtsausdruck, so daß sich Fülle, Erwartungen, Ahnungen, Verdrängungen, das, was geschehen ist, und die Hellsicht, was kommen mag, in einen Augenblick bündeln, den der Maler zu erfassen verstand und Porträt nennen durfte: all dies wirbelte vorüber und begrenzte sich, hütete die Sekunde; eine Quelle, immer gleich und immer neu, so empfand ich vor dem Bildnis Charles de Soliers, Sieur de Morette, das Holbein der Jüngere geschaffen hatte. Ein majestätisch wirkender Mann, das schüchterte ein – und war nicht alles; de Solier, Kammerherr und Ratgeber eines französischenKönigs, Diplomat und Krieger, Botschafter in London, wo Holbein ihn kennengelernt haben mußte, strahlte die Anmut bedeutender Schachspieler aus, die plötzlich die Wege einer gewaltigen, nie dagewesenen Kombination im Dickicht des durchschnittlichen verwirrten Handelns aufleuchten sehen und mit der Intuition langer Erfahrung, dem Auge ihrer Gabe, wissen, daß die Zugfolge nicht nur glücken, sondern Gutes bedeuten wird. Ein ergrauter Vierundfünfzigjähriger steht vor einem Damastvorhang, der Falten aufwirft wie das Leben Fragen, und seine Farbe ist das Grün der Geheimnisse: Brunnenlicht in einer bestimmten Tiefe, Handy-Displays, der Park mit der Pforte zu den Intrigen. Urvasi, der mich mit de Solier bekannt gemacht und mich ihn nicht nur achten, sondern lieben gelehrt hatte (das mag reserviert klingen, doch mehr ist Macht gegenüber kaum möglich), betrachtete ihn, und nur ihn, oft mehrere Stunden, wies mich auf die ornamentale Verzierung des Stoffvorhangs hin, vielleicht um mich von der Schwarz und Weiß verführerisch trennenden Klarheit der geschlitzten Ärmel abzulenken, deren Kunst ich, in Urvasis Augen, noch nicht begreifen konnte, da ich zu jung war, um zu wissen, welches Können, welche Gemische an Vorkommnissen, welchen Mut es braucht, so klar und gleichzeitig abgründig im Offensichtlichen zu sein. Nach langem Schweigen äußerte Urvasi etwa: Ein Mann von Format, das gewiß, das verschollene Wort dazu lautet Edelmann, er ist selbst einer der Alten Meister, die doch auch einmal jung und neu gewesen sein müssen. Manche aber sind sofort klassisch, sie sind die Scharniere in der Zeit, der Bruch, an dem sich Vorher und Nachher plötzlich bemessen lassen. Je vertrauter de Solier mir wird, desto dringlicher stellen seine Adjutanten, die man nicht sieht, mir die Frage, wie Format entsteht: Wenn einer erfolgreich das Hergebrachte zu verteidigen vermochte – oder wenn es ihm gelingt, sich immer wieder zu häuten, ohne von seinen Überzeugungen abzurücken? Ich glaube, er hat das delegiert; die guten Chefs ziehen in Betracht, daß sie nicht alles allein machen müssen. Er hat Dinge und Erscheinungen einfach gebraucht, wie ein Werkzeug, und sich um ihren Wallungswert wenig gekümmert. Gut ist das Brauchbare: so argumentiert der Tyrann; er ist keiner, bei ihm, denke ich, kommt etwas dazu: Gut ist das Brauchbare, das Leben nicht nur zuläßt, sondern ermöglicht. Ich denke, erwußte sehr genau um die unterschiedliche Bedeutung von »etwas hat Zukunft« und »etwas schafft Zukunft«. »Das
Weitere Kostenlose Bücher