Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Adele, die noch nicht genachtmahlt hatte, mußte hinter der Rückwand des Ständehauses Quartier bezogen haben, ein pflanzliches, dennoch elektrisch arbeitendes Gehirn des Tierkundemuseums, das seine Tentakel nach den trüb gewordenen Schätzen meiner Sindbad-Stadt ausstreckte; nicht um sie zu verschlingen, sondern um die Trennung zwischen ihnen aufzuheben, kalt voneinander abgeschnittene Wirklichkeiten mit einer mehr parasitären Auffassung von Verbrüderung bekannt zu machen. Vorschläge, weiter nichts, und doch lag in dem ungehemmten Wachstum ringsum ein Bestreben nach Fairneß, sagen wir, Liebe – wie im Tanz von Freßfeinden. In den Zimmern des Tierkundemuseums saßen an diesen Abenden, wie Finnengewächse in Lungengewebe, mit Menschenhaut bespannte Wesen, die einen mir noch unbekannt gebliebenen Preis bezahlt hatten, um, hellwach und wartend, die Entführung kommen zu lassen, selbst wenn sie in Gestalt des vorsintflutlichen Vogels Greif erscheinen würde, der ein Raubnetz voller Gräber, Brücken, Plattenbauten, eine halbe ausgerissene Stadt zu tragen vermochte. Alles geriet in Bewegung. Das Verkehrsmuseum, eine gelangweilt welkende Blüte, entließ Velozipeds, den »Großen Hecht« und ganze Armaden jener verletzlichen Flugzeuge, die man noch einzeln lieben konnte, weil sie eher Flugsauriern als Maschinen glichen und nichts anderes zu sein vorgaben als der Gestalt gewordene Wunsch einer träumebegabten Seele, von Tollkühnheit mitgerissene private Mathematik. Ihre Flügel hatten noch Melodie; Firmament und Flieger (oder Fliegerin, wir hörten bald von Melli Beese) sahen einander mit Wohlgefallen an, bereit, die Gefahren nur persönlich zu nehmen. Rumplertauben, Doppeldecker trudelten durch einen Wald aus Tang, und während wir Platz auf einem der würzigen Ledersitze nahmen, streiften schon die Scheinwerfer von den Wachttürmen unsere Freude; sie vermochten uns zu folgen, daskränkte unsere nach Freiheit suchende Phantasie. So, Spielpunkte in den Diagrammen des Aberglaubens, gerieten wir ins Grüne Gewölbe, das damals noch nicht wieder seine angestammten Räume im Schloß bezogen hatte – das Schloß litt an rohen, zerstörten Flanken, aus denen, Fischbeinbögen in Glockenröcken ähnlich, Käfige aus Armiereisen ragten, vor der Zerstörung Dresdens mit Sandstein bedeckt wie die Knochen eines Säugetiers mit Fleisch; hier war es verbrannt, abgeschmolzen, die Blätter und Voluten abgeschält, bis auf das Stammhirn zurückgeschnittene Arabesken schönheitssüchtiger Augen. Das Grüne Gewölbe bot eine gute Probe auf die Durchlässigkeit der Zeit, deren Boden seit der Revolution von 1917 vermauert zu sein schien, da die neuen, offiziellen Rechnungen mit dem Petrograder Oktober ihr »A. D.« begannen. Wo es nur ein Vorwärts gibt, darf es kein Vorher geben – Revolution und Erinnerungen, Umsturz und Gedächtnis vertragen sich nicht gut miteinander. Mit der Vertrauensseligkeit unverbrannter Fingerspitzen näherten wir uns. Schwanken, Kreiseln, Beben hielten an. Wirklichkeit war in Schollen zerbrochen, die mit je eigenen Zeit- und Raumverträgen drifteten. Sesam, öffne dich: Über der feinziffrigen Skala des Alltags-Graus ging ein Regenbogen auf. Phantastisch eitel und überzüchtet wucherte die Ausstellung augustäischer Kleinodien, ein Meeresleuchten aus schrillen und gleichzeitig verängstigt wirkenden Absonderlichkeiten, gefangen in den Vorzügen der Kälte. Ihre Schüchternheit (sofern Dinge schüchtern sein können, waren sie es hier) hielt mich davon ab, in ihnen böse Spielzeuge zu sehen; ihr Barock barg, gut zugänglich und versorgt, eine erfindungsreiche Insel, auf der verrückte, aber energiegeladene Mechanikergenies die vertrauten Maße brachen, um, vielleicht, nur etwas zu erzeugen, das dauerhaft gegen den Stumpfsinn half. Wut und Verbohrtheit können in Glück umschlagen und Gelächter erzeugen, auf das es am Ende wohl ankommt – ob freiwillig oder abgenötigt, seine Voraussetzung war vorhanden. Ich sah Todesarten, in Anspruch genommen für nekromantische Gastmähler. Blutrote Korallen entsprossen, flackernd asymmetrisch, ansteckend wie Windpocken, dem Kopf und der kühlen Ruhe Daphnes. Aktäon, der Jäger, schien von roten Geweih-Wurzeln in die Lüfte gesogen zu werden. Wohin ich blickte – eine Hefe des Reichtums,bereit, im Zeitraffer zu quellen, Blütenaufbrüche abzufeuern wie Kanonen Salutschüsse, sobald ein Blickkontakt hergestellt war, Photonen aus einer Pupille zündeten. Ein
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