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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Oper, dem Wasser und dem Gedanken der guten Nachbarschaft zugetanen Orte dieser Welt zusammenzuhängen. Auf unserem Dresdner Campiello herrschte zuviel Verkehr. Karajan vom Schillerplatz nickte, der Statthalter-Stab kreiselte, lud freundlich ein: Bitte. Sie dürfen.

Weißeritz Cotta 1985

19
    … ein blauweiß gestreifter Schirm, Modell »Passat«, öffnete seine acht Achsen unter Schirm-Dungers überraschend grob zufahrenden Händen und schien zu sagen: Sieh, wohin die Blicke sich zerstreuen, sie haben ein Zentrum, die Farbe des Himmels und der Gischt, die ein Windjammer durchschneidet, das Blauweiß des Meeres, dessen Brandung ich hörte; aber diese Dame fährt in Düsseldorf spazieren auf der Kö, Modell Fornasetti rot mit Montgolfières, unverkäuflich, ein Geschenk von Schirm-Oertel zu Bremen; dieser Herr wartet bei Parlamentsgesprächen in London, Modell Brigg, Prince of Wales, Griff aus Malakkarohr, Geschenk der Fabrica Ombrelli Maglia zu Mailand, unverkäuflich; noch einmal das Universum der vergangenen Augenblicke, wenn der Schirmfabrikant, Schlechtwetter-Kaufmann und augenzwinkernd selbsternannte Schirm-Herr Dunger mit einer Packung ganzjährig vorrätiger Dominosteine sowie einer Flasche Kräuterlikör Stichpimpuli bockforcelorum von Feinkost-Fendler nach nebenan zum Zigarren-, Konzertkarten- und Zauberzubehörverkäufer Ziegenbalk ging, um dort bei Erzeugnissen aus den VEB Tabakfabriken Dingelstädt und Treffurt mit Namen »Die Schöne«, »Sprachlos«, »Don Ramiro Brasil«, zu seltenen Anlässen auch einer »Partagas Lusitania« oder »8-9-8« (»totalmente al mano, tripa larga«) aus dem befreundeten Kuba die Neuigkeiten des Tages auszutauschen; ein blauweiß gestreifter Schirm, Modell »Passat«, von keinem Windstoß besiegt und »blickdicht-unverwüstlich« gewebt, trieb die Elbe hinab, zu Asche sollt ihr werden, sagte Herr Ziegenbalk, wenn ein Kunde herrisch auf dasThekenbrett klopfte, zu seinen Schutzbefohlenen in den mit eigens entwickeltem »Z« gebrandmarkten Kisten, all den noch »für den Herrn und Kenner« auf Bestellung in Ziegenbalkscher Manufaktur hergestellten Longfillern, Trüllerien, Mischungen »für naturbelassene Stunden« und solchen »für dazwischen«, und Herr Dunger, im besonnenen Widerspruch zu seinen Überzeugungen als Einzel- und auch sonst bedrängter Händler, merkte an: Entschuldigen Sie bitte, aber Sie erklären der Stille soeben auf Kosten der schönen Leichtigkeit den Krieg, und Herr Ziegenbalk ergänzte: Sehnse, wir müssen doch für die Erinnerungen sorgen, die man mal an uns haben wird: ein blauweiß gestreifter Schirm, der auf der Elbe davontrieb mit Heinz Dungers, des Herrn der Schirme, Asche.
20
    Löbtau: Als würde die Kesselsdorfer Straße, mit ihrem Verkehr, den geräuschvollen Bahnen, allen Lärm des Viertels zusammenraffen – in der Bünaustraße, unerwartet gediegen und gepolstert von Erlweinbauten, am berlinisch überspielten Schillingplatz, ist es abrupt still, vielleicht tut auch der nahe Annenfriedhof ein übriges; in den Linden der Bünaustraße stecken nicht nur die Plaketten des Grünflächenamts (ihr ehrenwerten Ritter: seid gezählt), sondern auch die Echos von Kuckucksrufen und jenen kleinen, erstaunlich mühelosen Fluchten in die farnbesponnenen Deltas, in die der steinerne Fluß aus Häusern und Mauern an den Rändern der Stadt ausfingert. Die Bünaustraße wirkt (und auf angenehme Weise selbstverständlich) vornehm, es ist eine zum Gebrauch bestimmte, alltäglich benutzte Vornehmheit, die in Dresden, das vielfältigen Mangel kennengelernt hat, selten geworden ist: Reichtum, so überflüssig vorhanden, daß man selbst in der Vorstadt, in den ins strikt Einheimische übergehenden Zonen, irgendeinen »dieser Paläste« bewohnt und es sich leisten kann, in einer Stadt, in der das Amt des Chefkonservators die höchste zu erreichende Stellung zu sein scheint, sich um Vorbesitzer, frühere Bedeutung und Geschichte nur mit einem Achselzucken zu scheren. Am Bünauplatz, der den kaum einen Steinwurf entfernten Schillingplatz doppelt, liegen gelbe Klinker-Tanker auf Reede und scheinen auf Hafenkräne zu warten, die die Erzählungen von einem zum andern heben, auf daß die Erwachsenen mit gegenseitigem, freundlich gemeintem Kennenlernen einholen, was ihnen ihre Rangen in den beiden verfeindeten Banden, in die ein solcher Platz gern getrennt ist, an Kenntnis der Schwächen der anderen Seite, der Durchschlupfe und Schmuggeleien zwischen den Fassaden der

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