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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Wohlanständigkeit voraushaben. »Spezialwerkstatt für Leder- und Motorradbekleidung«, »www.uhren-klinik.de«, die ungeschliffenen, von Hitze glasierten Mauern, an die früher Schreibmaschinenschrift geprallt sein mag, heute die allgegenwärtige Amts-Helvetica, so daß mir der Gedanke kommt, warum diese gleichsam mit der Axt zugehauene, aller Löckchen beraubte Schrift nicht nur in Behörden verwendet wird, sondern auch in Briefen, auf offiziellen Homepages so auf dem Vormarsch (unerschütterlich im 4/4-Takt eines Tambour-Roboters) begriffen ist; Ausdruck einer Sehnsucht nach Unmißverständlichkeit? Und genügen ein paar Hinweise auf friedliche Gewerke, der Vorstellung zu widerstehen, daß dies auch ein Platz für eine Filmeinstellung wäre: rechts flaggen die Kommunisten, links die Nazis, dazwischen tragen Laufjungs Zeitungen aus, die sich gleichmäßig im hohen Bogen nach beiden Seiten senken aus einer beweglichen und pfiffigen Mitte, die sich duckt und dünnemacht, bevor es Kloppe setzt.
    Durch die Anton-Weck-Straße blickt man auf drei pfefferminzgrüne Schlote, die wie Harpunen die Bläue des Sommerhimmels abwehren – fremd und unaufgeregt wie ein Buddha, unter dessen großer Zehe sich ein Tourist reckt, die vielfältigen Ansprüche einer Gegenwart von sich weist, die sich viel zu wichtig nimmt, weil sie nicht ahnt, wie lange schon dieser Gott ohne Geld und Steuerformulare auskommt. – Wie still es bei einem Fußball-Gipfel ist … (»jetzt«), nach dem 4:2 gegen England (denn Lampards Schuß war drin) in Bloemfontein, nach der Ungläubigkeit, die an diesem überheißen Siebenschläfer in der Blattmoussade des Viertels herrscht, als wäre eine verspätete Weltkriegsbombe gefallen, die ein tückischer Racheengel der Zeit auf Reserve behaltenhat und erst vor einer Sekunde ausklinkte (manchmal darf Ironie ihre juckende Schulter am Keilerstamm der Vorurteile scheuern), erinnere ich mich an die Vorstellungen der Rundfunkkommentatoren, das Begeisterungs-Crescendo, das seine Herkunft aus den Waffengängen der Riefenstahlfilme nie ganz abzustreifen vermochte, eine habichthafte Angriffslust, die aus den Schlachtgesängen der Tribünen und dem Frequenzqualm der Radioröhren ihre Fänge zum nervtötenden, metallischen Orgasmus eines Sturzkampfbombers herabstieß, und ich hatte, abgesehen von den Bemühungen der Reporter, aus Fußtritten in einen Lederball die ganze Welt herauszustreicheln, den Eindruck, daß sie mit der Statik der Verhältnisse um das Stadion unzufrieden waren, das graue Häuser belagerten wie Hungernde eine Suppenküche; daß die Dinge »draußen« für sie in einer hoffnungslosen Stase vertäut lagen und der schwermütigen, klaren Einfachheit gehörten, mit der ein Insekt vom Harztropfen gefangen wird und in die Biographie des Bernsteins übergeht. Vielleicht auch lag es daran, daß man es in Dresden hörte, wenn die Meerriesen Hamburgs grüßten. Abgeschnitten von der salzigen Seeluft, die aus der anderen Elbstadt mit mächtigem Schub in die Rücken der Reisewilligen fährt, höre ich die Tollkühnen Reporter (das waren wir Jungs) vor den Fliegenden Transistor-Kisten die Klassiker kommentieren, als ob wir, Baumwolltrikots mit von unseren Müttern aufgenähten Nummern übergestreift, die uns nicht gehörende und uneinholbare Vergangenheit in unsere Gegenwart zu retten hätten, wir, mit Gewesenem vollgestopfte Chronisten und Balleleven in Betriebssportvereinen namens Motor Loschwitz, Empor Tabak, FSV Lokomotive, deren Sportplätze, die Zehnstufentribünen, rostigen, von Vorstadtfreuden und -enttäuschungen schiefgerüttelten Geländer, der Turm (wenn es denn einen gab) mit einer Uhr und einer hölzernen, per Hand zu bedienenden Anzeigetafel (»Heim« – »Gäste«) gegen die aufgeblähten, werbeüberglitzerten, unter Plastposaunen-Jerichogedröhn und La-Ola-Wellen wummernden Hovercrafts von heute armselig und unrettbar provinziell wirken – und doch, wieviel lieber als die modernen Kolosseen mit den Namen, an denen keine Glorie haftet, sind mir diese Bolzplätze, deren Umkleidekabinen nach dem Schweiß der Maschinenschlosser und unserer Angst vor autoritären »Weisungsbefugten« stanken, die mit ausgeblichenen Wimpeln und schwarzweißen Fotos drohten, gekachelten, von Fußpilzwarnungen entehrten, nur mit Badeschlappen zu betretenden Gemeinschaftsduschen; Stadien, deren Rasen von Wühlmäusen zerbuckelt war und sich bei Regen in einen Teich verwandelte, in dem wir, beide Mannschaften nach wenigen

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