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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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nicht nur ermöglicht, sondern durch Widerstand vorantreibt. Sie scheint das Überflüssig-Nutzlose, als das man einen Zwinger, ein Schloß, die Oper durchaus sehen kann, zu wollen, als ob die Industrie ahnte, daß sie kein Königtum hervorbringen wird und es doch (und wäre es gegen die Langeweile) im Grunde braucht. Löbtau und der Elbhang sind Pole, und es ist, abgesehen von logistischen Erwägungen, wohl kein Zufall, daß sich das Kraftwerk Nossener Brücke in dieser Spannung aufhält, sie sogar weniger erzeugt als abzuschöpfen scheint; Löbtau hat, wie der Befehlshaber einer Drückerkolonne, einen stahlbeschlagenen Arbeitsschuh in der Tür, hinter der die Dresdner Mythen gerne unter sich wären. Nossener Brücke, ein federnder Viadukt, in der Ferne der Grünsaum des Elbhangs, davor schwimmen wie Treibminen die Kuppeln von Schloß, Frauenkirche, Rathaus im Geglitzer aus Gleisen und Stromleitungen; die Boje einer exakt auf 12 stehengebliebenen Reichsbahnuhr (der Mittag macht alles gleich, nicht die Nacht) verharrt in der zähen und unermeßlichen Belagerung, als die Löbtau gegen die »liebliche Landschaft« quillt, dazwischen, ein hydraulischer, schiedsrichterlich gestimmter Riegel, die Elbe. Der Canaletto-Archipel hängt in der bitteren Umarmung aus Rost; ein paar Schwammbänke voller Perücken widerstehen noch den Angriffen der Turbinen, die im Kraftwerk (zentraler Betriebshof der Drewag) gefahren werden und von einer Marine aus zerschrammten Hochhäusern Flankenschutz erhalten, die auf der weißen Hitze von Salzfeldern zu dünen scheint und dennoch von ihrer sachlichen Erscheinung absticht: über den Schuttplätzen, auf die sie die im Echo einer solchen Dürre wartende Flut spülen wird, steigen Heidelerchen und ihr so ungewohnt verbrannter, knisternder Gesang.

Prager Straße 2010

Spuren. Daß von Atlantis nur eine Telefonzelle blieb. Von der Glasfabrik, die ein Siemens gründete, ist der Behang des Semperopern-Kronleuchters übriggeblieben. Im Reichsbahnausbesserungswerk,einst Außenstelle des KZ Flossenbürg, Hallen und Bahnerstolz längst in den geschwollenen Bizeps der Friedrichstädter Gleisanlagen eingeschmolzen, fertigte man Lok und Anhänger der Pionier-, heute Parkeisenbahn im Großen Garten. Die Bienertsche Brotfabrik wird vom Waldmeister erobert. Die Begerburg, in der Klemperer zum ersten Mal aus seinem Buch »LTI« las, beugt sich mit der schwindelfreien Melancholie von Marionetten, die nach dem Spiel auf der Bühnenkante hängen, über den Plauenschen Grund. »Dienstleistungen« steht, die Flucht einer mit Plakatfetzen bepelzten Litfaßsäule verlängernd, am Eingang Oederaner Straße, eine brutal von allen Illusionen abgeklemmte Rinne voll ockerfarbener, zwischen schwärenden Fenstern siedender Glut; ein Haus-Skelett im Schwitzkasten eines Elektrizitätsmasts prallt auf den azurgetünchten, sanierten Leib des Kraftwerks; seitlich davon knickt die Saxoniastraße ab wie ein grüner Zweig vom kahlen Ast, ein gepflastertes, laubbeschattetes Schein-Idyll: die Häuser bedecken ein Kanonenbohrwerk, die Spiegelschleife, Salpeterschichten aus der an der Weißeritz gelegenen Pulvermühle, die immer wieder in die Luft flog und immer wieder aufgebaut wurde; der Block mit dem Durchgang in Richtung Ebertplatz und Siebenlehner Straße verbirgt unter dem frischen Putz die Mühseligkeit von Reinigungstagen im Löbtauer Volksbad und den Hofschuppen, in denen die Mietwannen für die Wohnungen ohne fließend Wasser standen.
    Die Fleischfabrik: eine gemauerte Schnecke. Eisenrippen unter roher Ziegelverkleidung, dem Schwung der Fabrikstraße folgende Fassade, die mit Holz verschalte Glaskuppel, früher zu Reklamezwecken beleuchtet, ein Wahrzeichen der nächtlichen Stadt, dient einem Turmfalkenpärchen als Nistplatz. Ehemaliger Fleischverarbeitungsbetrieb der Konsumgenossenschaft »Vorwärts«, auf dem Hof, mit Zufahrt zur unterirdischen Anlieferung, ist eine Kastenuhr stehengeblieben, Laderampen haben den Anakondaleibern einer Fernwärmetrasse nachgegeben. In der lastenden Stille, die vom Eisenbahnmuseum auf der anderen Seite der Nossener Brücke mit zwei in der Hitze ausharrenden, feuerroten Loks aufgelassen wird, nimmt dieses Industriedenkmal den Charakter einer Ausgrabungsstätte an, eines Überrests, freigeschlepptaus pompejanischem Dunkel, das einen Gullydeckel mit der Aufschrift »Fettfang«, die rapsgelben, mit blauen Randstreifen versehenen Kacheln des Haupttreppenhauses mit der unerwarteten Anmut von

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